Der Abschluss bringt für die Beschäftigten zwar nach über 5 Jahren endlich mal tabellenwirksame Erhöhungen, aber verglichen mit der Forderung, gemessen an der Inflation und der langen Zeit ohne tabellenwirksame Erhöhung sowie in Anbetracht der massiven Mobilisierung bei Warnstreiks und Aktionen ist er mehr als enttäuschend.
Der Abschluss besagt im Kern: Die ersten 8 Monate sind Nullmonate. Die Entgelte werden in zwei Schritten erhöht (am 1. 6. 2023 um 5,2 % und am 1. 5. 2024 um 3,3 %); es wird eine sogenannte „Inflationsausgleichsprämie“ gezahlt (1500 € im ersten Quartal 2023 und weitere 1500 € ein Jahr später), die allerdings auch verschoben werden kann, wenn die Geschäftsleitung nur genug jammert. Die Laufzeit des Tarifvertrags beträgt 24 Monate.
Schon die Forderung von acht Prozent war bei vielen Kolleg*innen als zu niedrig kritisiert worden. In vielen Betrieben waren schon im Mai und Juni höhere Forderungen aufgestellt worden. Bei einer Inflation von inzwischen mehr als zehn Prozent hätte die Erreichung der acht Prozent auf die Tabelle bei zwölf Monaten Laufzeit bereits ein Reallohn-Minus ergeben. Die letzte Tabellenerhöhung in der Metall- und Elektroindustrie ist, wenn im nächsten Mai die erste Erhöhung in Kraft tritt, mehr als 5 Jahre her. Nun sagt der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann auf der IGM-Webseite: „Die Beschäftigten haben demnächst deutlich mehr Geld in der Tasche – und zwar dauerhaft“. Diese Rechnung ist überhaupt nicht nachvollziehbar, denn das Geld ist weniger wert. Im Gegenteil läuft es darauf hinaus, dass die Kolleg*innen dauerhaft wesentlich weniger Kaufkraft in der Tasche haben und zwar über 10 %.
Die Einmalzahlungen von 2 mal 1500 € sehen auf den ersten Blick gut aus. Das ist jedoch eine mehrfache Täuschung. 125 € netto im Monat entspricht beim Durchschnittsentgelt in der Metall- und Elektroindustrie wenig mehr als 2,5 %. Dieses Mehr an Geld wirkt sich aber nicht auf Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld, tarifliches Zusatzgeld und Transformationsgeld aus, die immerhin rund 16 % des Jahreseinkommens ausmachen.
Problematisch ist besonders die Laufzeit von 24 Monaten. Das bedeutet, dass für die nächsten zwei Jahre, egal wie es bis dahin mit der Inflation aussehen wird, nicht mehr für eine Lohnerhöhung gekämpft werden darf. Die Unternehmen haben Planungssicherheit, die Beschäftigten nicht. Sie stehen mit dem Risiko der Inflation allein da.
Wenig bekannt gemacht wurde die Energienotfallklausel. Darin ist festgehalten, dass bei Ausrufung der Notfallstufe bei Energieengpässen innerhalb von 2 Tagen Verhandlungen aufgenommen werden über Abweichungen von Flächentarifverträgen. Diese Klausel ist hoch gefährlich, kann sie doch alle erkämpften Errungenschaften angreifen und letztlich den Bestand des Flächentarifvertrags gefährden. Das wäre ein großer Sieg für das Kapital und eine Existenzgefährdung der Gewerkschaft, wenn die Abweichung zum Normalzustand wird.
Kampfkraft verschenkt
Bis zur Verhandlung am 17. November hatten sich bundesweit rund 900.000 Beschäftigte an Warnstreiks, zahlreichen Aktionstagen und großen Demonstrationen beteiligt, davon allein in Baden-Württemberg 300.000. In vielen Bezirken wurden Ganztagesstreiks vorbereitet, in Baden-Württemberg sollte Urabstimmung und Streik durchgeführt werden. Bei den 24-stündigen Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie 2018 mit Beteiligung von hunderttausenden Kolleg*innen wurde im Ansatz deutlich, welche Kraft in den Belegschaften steckt. Diese Kampfkraft der Metaller*innen wurde in dieser Tarifrunde nicht ausgeschöpft. Die Frage stellt sich, ob eine Steigerung überhaupt erwünscht war von Seiten des IG Metall-Vorstandes.
Was tun?
Viele Aktive an der Basis sind wütend. Es gibt Enttäuschung in den Betrieben, unter den Vertrauensleuten und in den sozialen Netzen. Die Tarifkommissionen, Vertrauenskörper usw. sollten das Verhandlungsergebnis ablehnen. Nehmen wir uns ein Beispiel an der Vertrauensleutevollversammlung von Mercedes-Benz Untertürkheim, die den Abschluss – trotz Anwesenheit vom baden-württembergischen Bezirksleiter Roman Zitzelsberger – mehrheitlich abgelehnt hat. Damit können wir Signale aussenden. Auch dann, wenn wir die Annahme dieses Abschlusses nicht verhindern können: Jede kritische Stimme, jede ablehnende Resolution in den Vertrauenskörpern, Delegiertenversammlungen und Tarifkommissionen kann eine Ermutigung sein und die Kolleg*innen stärken, die eine andere Politik in der IG Metall und im Kampf gegen die aktuellen und kommenden Preissteigerungen wollen. Diese Kräfte müssen die Basis für eine Vernetzung sein, die sich für eine offensive Tarifpolitik einsetzt, die den sozialpartnerschaftlichen Kurs ablehnt und eine klassenkämpferische Alternative aufbauen wird. Um zukünftige Ausverkäufe und Abschlüsse wie den aktuellen zu verhindern, muss aus der Empörung eine organisierte Opposition werden. Eine Opposition, die es den kämpferischen Mitgliedern, die es gibt, die aber überall in der Minderheit sind, erlaubt, sich unabhängig auszutauschen und eine stärkere Kraft zu werden. Ansätze dafür findet ihr bei der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG).
Flyer zum Herunterladen:
https://vernetzung.org/wp-content/uploads/2022/11/Pilotabschluss-Metall-VKG-Layout.pdf
Weitere Beiträge zum Pilotabschluss:
https://solidaritaet.info/2022/11/metall-tarifergebnis-reicht-nicht/
https://www.unsere-zeit.de/arbeitskampf-abgebrochen-4774787/
https://intersoz.org/tarifabschluss-mit-eingeplantem-reallohnverlust/
https://arbeiterinnenmacht.de/2022/11/19/verhandlungsergebnis-metall-und-elektroindustrie-ablehnen/
https://www.klassegegenklasse.org/was-bedeutet-der-abschluss-in-der-tarifrunde-metall-und-elektro/