Die Frage der Schlichtung und der Umgang damit wird gerade zu Beginn der wichtigen Tarifrunde im öffentlichen Dienst in vielen Bereichen der Gewerkschaft ver.di diskutiert. Hierzu existiert eine Schlichtungsvereinbarung zwischen ver.di und dem VKA.
Einige Kolleg*innen haben nun bereits Anträge eingebracht, diese Vereinbarung zu kündigen. Die Streikdelegiertenversammlung von über 300 Teilnehmenden in Berlin hat am 27. Januar beschlossen, sie schnellstmöglich aufzukündigen und die Berliner Mitglieder der Bundestarifkommission des öffentlichen Diensts damit beauftragt, die Diskussion darüber zu eröffnen.
Auch wenn die Beschlüsse keine unmittelbare Verbindlichkeit für die Bundestarifkommission haben, schlagen wir einen Musterantrag vor, der fordert, die Schlichtungsvereinbarung fristgerecht zu kündigen. Je mehr Beschlüsse dieser Art, umso mehr wird deutlich, dass Kolleg*innen dies nicht wollen und wird Druck gegen die Vereinbarung und das Schlichtungsverfahren aufgebaut. Es hilft auch, ein klares Signal aus den Betrieben zu senden, dass Schlichtung der falsche Weg ist, weil davon kein akzeptables Ergebnis zu erwarten ist. Dies kann dann beim Bundeskongress von ver.di in diesem Jahr auch aufgegriffen werden.
Antrag zur Aufkündigung der Schlichtungsvereinbarung im öffentlichen Dienst
Antragssteller: NAME(N)
Beschluss und Weiterleitung an:
GREMIUM, BETRIEBSGRUPPE o.a. möge beschließen:
Die Bundestarifkommission wird aufgefordert, die am 25. Oktober 2011 getroffene „Vereinbarung über ein Schlichtungsverfahren (Bund, VKA, ver.di)“ schnellstmöglich (gemäß §11 Abs. 2 bis Ende Februar 2023 zum 31. März 2023) aufzukündigen und keine neue Schlichtungsvereinbarung abzuschließen.
Begründung:
Aufgrund der negativen Erfahrungen mit der Schlichtung hatte bereits der ÖTV-Kongress im Oktober 2000 den geschäftsführenden Hauptvorstand (gHV) der ÖTV in einem einstimmigen Beschluss aufgefordert, die Schlichtungsvereinbarungen zu kündigen. Der Kongress hatte den Bundesvorstand nicht beauftragt, ein neues Schlichtungsabkommen zu schließen.
Entgegen dieser Beschlusslage hat die ver.di-Bundestarifkommission im öffentlichen Dienst direkt vor der Tarifrunde im öffentlichen Dienst 2002 ein neues Schlichtungsabkommen vereinbart. Und wieder wurde durch die Schlichtung das Ergebnis weit unter die ohnehin schon bescheidene Forderung nach unten korrigiert und zusätzlich eine Laufzeit von 27 Monaten und Kompensationen vereinbart. 2011 wurde dann die aktuelle Schlichtungsvereinbarung abgeschlossen.
Alle Kolleg*innen wissen aus eigener Erfahrung, dass das Ergebnis einer Tarifrunde durch die Kampfkraft in den Betrieben und eine konsequente Strategie zur Durchsetzung der Forderungen bestimmt wird. Die Verhandlungen, die Entscheidung über eine Annahme oder Fortsetzung der Auseinandersetzung, Streiks usw. müssen in den Händen der Beschäftigten liegen. Eine Schlichtungsvereinbarung (vor allem, wenn sie so restriktiv wie die im öffentlichen Dienst ist) gibt das stärkste Druckmittel, den Arbeitskampf, aus der Hand und unterbindet zudem jegliche Aktionen, die „zu einem Scheitern“ der Schlichtung führen könnten, also auch Aktivitäten außerhalb des Streiks. Teil der Schlichtungsvereinbarung ist auch ein Zwang, sich darauf einzulassen (§2 Abs. 3), sobald eine Seite die Schlichtung anruft. Die Entscheidung, sich auf eine Schlichtung einzulassen, liegt somit nicht einmal bei denen, in deren Interesse die Lohnerhöhung erkämpft werden soll, sondern allein auf Seiten der Arbeitgeberverbände in Bund und Kommunen.
Damit bindet sich unsere Gewerkschaft selbst die Hände, diese wichtige Auseinandersetzung mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu führen. Die Erfahrung hat gezeigt: sobald ein Schlichterspruch verkündet wird, ist dieser immer ein Kompromiss zulasten der Kolleg*innen, und gleichzeitig wächst der öffentliche Druck zur Annahme dieses Schlichterspruchs enorm. Die Aufnahme des zurecht aufgeworfenen Erzwingungsstreiks nach der Schlichtung wird somit enorm erschwert.
Schlichtung ist und bleibt ein Knebel und kein Hebel. Um sich nicht selbst in eine solche Sackgasse zu manövrieren und den Kolleg*innen alle Freiheit zu lassen, von der Kampfkraft ihrer Gewerkschaft Gebrauch zu machen, sollte die Vereinbarung schnellstmöglich und ersatzlos aufgekündigt werden. Letztendlich reicht für die Annahme eines Schlichtungsergebnisses eine Zustimmung von 25 Prozent, was in der jetzigen Situation, in der viele Kolleg*innen streikbereit sind, ein verheerendes Signal setzen und zu vielen Austritten derjenigen führen würde, die in den Erzwingungsstreik treten wollen. Bereits jetzt wird darüber diskutiert, dass das Schlichtungsergebnis möglicherweise abgelehnt wird und man sich auf einen Vollstreik vorbereitet. Wenn dies die Perspektive ist, sollte man alles daran setzen, sich den Umweg über eine Schlichtung zu sparen.