Seit nun 11 Monaten bemüht sich der Fachbereich Handel von ver.di zu einem Tarifabschluss in den beiden Tarifbereichen zu kommen. Trotz zahlreicher Streiks in den beiden Bereichen Einzel- und Großhandel konnte mit den Arbeitgeberverbänden keine Einigung erzielt werden.
Inzwischen haben die beiden Arbeitgeberverbände sogar Empfehlungen an die Mitgliedsunternehmen für 2024 raus gegeben die für den Einzelhandel eine Erhöhung um 4,7 % und im Großhandel nur um 2,9 % vorsehen.
Was wollen die Arbeitgeberverbände?
Offensichtlich haben die beiden Arbeitgeberverbände ihre Strategie abgesprochen. Sie orientieren ihre Vorstellungen zur Tarifrunde strikt an der Situation in den jeweiligen Bereichen und nicht an der Situation der Beschäftigten, die durch die hohen Preissteigerungen der letzten Jahre extrem angespannt ist. Sie schätzen auch die Fähigkeiten von ver.di als nicht so stark ein, dass sie einen ihnen nicht passenden Abschluss durchsetzen können. Diese Einschätzung liegt in der mangelnden Tarifbindung in beiden Bereichen zu Grunde und ist eine schwere Hypothek für ver.di. Dies bedeutet, dass viele Betriebe in den beiden Bereichen sich schon aus der Tarifbindung verabschiedet haben.
Bundesweit ist die Tarifbindung in beiden Bereichen schon unter 50 % in manchen Bundesländern unter 40 %, d.h. die Mehrheit der Betrieb hat schon den Arbeitgeberverband verlassen oder ist in den ohne Tarifbindung (OT) Status gewechselt. Offensichtlich sind die beiden Arbeitgeberverbände zu der Auffassung gekommen, dass sie auch gänzlich ohne Tarifabschluss zurechtkommen und meinen, gegen ver.di ein Tarifdiktat durchsetzen zu können. Dies wäre das Ende einer Entwicklung, die sich auch in den Tarifrunden der letzten Jahre gezeigt hat, wo es nicht gelungen ist, die Einkommen der Beschäftigten zu sichern. Auch der Personalwechsel in der Fachbereichsleitung von Nutzenberger zu Zimmer hat sicherlich zu einer Verhärtung im Arbeitgeberlager geführt.
Die Strategie von ver.di
Gegen diese harte Haltung der Arbeitgeberverbände versucht ver.di mit einer Doppelstrategie vorzugehen. Seid Jahren wird versucht, durch begleitende Kampagnen in den Tarifrunden die Tarifbindung mit den Arbeitgeberverbänden wieder herzustellen. Wie oben beschrieben haben diese aber kein Interesse daran und ver.di stößt jedes Mal auf eine geschlossene Abwehrfront. Nach mehreren Jahren der schlechten Abschlüsse in beiden Bereichen hat ver.di sich 2023 entschlossen, die Höhe der Einkommen der Beschäftigten zu verteidigen. Die entsprechenden Forderungen, plus 2,50 € pro Stunde mehr im Einzelhandel und 15 % mehr im Großhandel, waren ein deutliches Signal und an der oberen Grenze der Tarifforderungen im letzten Jahr. In der Frage der Tarifautonomie soll der Druck auf die Arbeitgeberverbände aufrechterhalten werden. Aber ohne eine politische Lösung in dieser Frage, der Anerkennung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen, wird es keine Regelung geben. Um den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen müssten die Gewerkschaften insgesamt tätig werden. Ein Fachbereich alleine wird dieses Problem nicht beseitigen können.
Tarifrunde 2023
Da die Unternehmen in den Branchen aber nicht bereit sind, über die berechtigten Forderungen ernsthaft zu verhandeln, und Angebote weit unterhalb der Forderungen, „anboten“, versuchte die ver.di Fachbereichsleitung durch häufige und länger als einen Tag anhaltende Streiks, die Arbeitgeberverbände unter Druck zu setzen. Dabei stellte sich heraus, dass die Einzelhandelsunternehmer nicht bereit waren, über die lineare Lohnerhöhung von 2,50 € zu verhandeln, sondern nur schlechte Prozentangebote abgaben, musste ver.di die Aktivitäten ausweiten. In der laufenden Tarifrunde wurden neue Unternehmen erschlossen, deren Belegschaften direkt mit in den Streiks eintraten. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Beteiligung in einzelnen Tarifbezirken und Unternehmen sehr unterschiedlich war und ist. Dies macht deutlich, dass eine Abkehr von regionalen auf bundesweite Verhandlungen die Situation im Handel eher verschlechtern würde. Im Herbst 23 empfahlen die Arbeitgeberverbände ihren Mitgliedsunternehmen die Löhne um 5,7 % zu erhöhen, womit klar wurde, dass sie in weiteren Verhandlungen keinen Sinn mehr sahen.
Dementsprechend wurden auch vereinbarte Verhandlungstermine abgesagt. Es gelang lediglich am 28. Dezember in Hamburg erneut zu verhandeln, wo die Unternehmer ein leicht verbessertes Angebot von 6 % vorlagen, dass aber offensichtlich noch nicht einmal in den eigenen Reihen abgesprochen war. Aber auch von ver.di wurde dieses Angebot abgelehnt. Ver.di hat in dieser Tarifrunde viele neue Mitglieder, nach Jahren des Niedergangs, gewinnen können. Für die Fachbereichsleitung wird es schwierig werden, die Mitglieder zu halten, wenn es zu keinem guten Ergebnis kommt. Kein Ergebnis erzielen zu können, bedeutet in den Augen vieler Mitglieder ein Scheitern ihrer Gewerkschaft und ihrer Bemühungen.
Auch in 2024 ist keine Einigung in Sicht In diesem Jahr starten die Tarifrunden zeitlich unterschiedlich schon im April. Bevor es überhaupt losgeht, zeigten die Unternehmerverbände, was sie von der Tarifautonomie halten. Sie empfahlen den Mitgliedsunternehmen, die Löhne zum jeweiligen Stichtag im Einzelhandel um 4,7 % und im Großhandel um 2,9 % zu erhöhen. Damit dürften die Schwierigkeiten für ver.di nicht kleiner werden. Ob es durch weitere Mobilisierungen gelingt, die Unternehmerverbände an den Verhandlungstisch zu bewegen, bleibt abzuwarten. Ich wage die Behauptung, dass es ohne eine politische Lösung der Allgemeinverbindlichkeit oder ein Einknicken von ver.di kaum zu Abschlüssen kommen wird. Dabei gibt es jetzt eine EU-Richtlinie, deren Anwendung im Handel die Verhältnisse erheblich erleichtern würde. Diese Richtlinie sieht vor, dass in einer Branche in der die Tarifbindung unter 80 % liegt, die jeweilige Regierung tätig werden soll, die Allgemeinverbindlichkeit durch Gesetz herzustellen. Aber auch dazu wird der Druck auf diese Bundesregierung erheblich erhöht werden müssen, um wenigstens diese EU-Richtlinie umzusetzen. Da aber auch in diesem Jahr weitere Tarifrunden anstehen, sollten diese für gemeinsame Mobilisierungen genutzt werden. Zumindest um die Aktivierung der Mitglieder aufrecht zu erhalten. Wir müssen uns auch in der Bundesrepublik darauf einstellen, dass Gewerkschaften mehr und mehr als lästig angesehen werden und damit die Mär von der Sozialpartnerschaft endgültig zu Grabe getragen wird.
Helmut Born, Düsseldorf, 26. März 2024