Krise der Autoindustrie: Zehntausende Arbeitsplätze gefährdet

Arroganz, Betrug und Imperialismus

4.9.24

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Zwei Tage nach Veröffentlichung dieses Artikels in unserer Monatszeitung sozialismus.info bestätigte sich unsere Prognose: der VW-Konzern ist in einer schweren Krise und kündigte zum ersten Mal in seiner Geschichte an, Standorte in Deutschland zu schließen und betriebsbedingte Kündigungen vorzunehmen. Die 1994 vereinbarte Beschäftigungssicherung ist Geschichte. Mit der Drohung des Arbeitsplatzabbaus wird zudem Druck auf die Beschäftigten erzeugt, bei der anstehenden Tarifrunde in der Metallindustrie Reallohnverluste und möglicherweise darüber hinausgehende Lohnkürzungen zu akzeptieren. Jetzt ist entschiedener Widerstand der IG Metall und der Arbeiter*innen der Autoindustrie nötig, zur Verteidigung aller Arbeitsplätze, aller Standorte und der Löhne.

Sie werden lauthals Opfer der Belegschaft fordern, “um die Arbeitsplätze” zu retten. Doch noch immer machen die Kapitaleigner bei VW riesige Gewinne. Die Gewinnrücklagen betragen 137 Milliarden Euro, der Nettogewinn 2023 16 Milliarden Euro. 4,5 Milliarden 2024 wurden dieses Jahr an die Aktionär*innen ausgeschüttet.

Eine Umstellung der Produktion Richtung öffentlicher Verkehr ist nötig. Die Beschäftigen und ihre Qualifikationen werden dafür gebraucht. Wenn die privaten Anteilseigner dazu nicht in der Lage sind, ist es geboten, die Konzerne in öffentliches Eigentum zu überführen und eine demokratische Planung durch die Beschäftigten und den Staat zu starten.

 

Ford steht symbolisch für die Krise der Autokonzerne in Deutschland. Das Werk Saarlouis schließt Ende 2025. Noch während der 2023 angekündigte Abbau von über 2000 Arbeitsplätzen in der Entwicklung lief, überbrachte der Betriebsratsvorsitzende Gruschka die Nachricht, dass weitere Tausende Jobs im Kölner Stammwerk gefährdet sind. Genaue Zahlen nannte die europäische Konzernzentrale nicht. Es gibt Warnungen, dass der E-SUV „Explorer“, dessen Produktion im Juni 2024 ein Jahr verspätet begann, zum Ladenhüter wird und das gesamte Werk in Köln in Frage gestellt ist. Aktuell arbeiten in Köln 13.000 Beschäftigte, 2018 waren es noch 20.000.

Von Claus Ludwig, Köln

Von 2018 bis 2023 gingen bereits 60.000 Arbeitsplätze bei Herstellern und Zulieferern verloren. Die Autoproduktion ist seit 2017 von 5,7 auf 3,5 Millionen Fahrzeuge jährlich gesunken. Die E-Auto-Werke von VW in Zwickau und Emden unterbrechen immer wieder die Produktion. Beim mit 50.000 Beschäftigten größten Autozulieferer ZF sind 12.000 Arbeitsplätze gefährdet, statt „sozialverträglichem“ Abbau drohen Massenentlassungen. Ein Werk in Gelsenkirchen soll Ende 2024 schließen, das Stoßdämpferwerk in Eitorf (Rhein-Sieg) Ende 2025.

Betrug statt Innovation

Anstatt das E-Auto zu entwickeln, setzten deutsche Konzerne ihre Kapazitäten ein, um bei Abgastests zu betrügen und ihre schmutzigen Diesel so lange und teuer wie möglich zu verkaufen. Der US-amerikanische Staat ließ den Betrug 2015 auffliegen. Währenddessen entwickelten chinesische Hersteller mit massiver staatlicher Hilfe das E-Auto und sind heute in der Lage, günstige Fahrzeuge in großen Stückzahlen nach Europa zu exportieren. Auf dem chinesischen Markt bricht der Verkauf von Verbrennern ein, allein im ersten Halbjahr 2024 sank der Absatz um 12% (775.000 Stück). Volkswagen und Mercedes sind besonders betroffen. Seit 2020 haben chinesische Konzerne wie BYD ihren Anteil am heimischen Markt, dem größten der Welt, von 33 auf 52% gesteigert.

Die deutschen Konzerne ruhten sich darauf aus, möglichst teure, hochmotorisierte Autos zu produzieren, weil der Profit pro Fahrzeug höher liegt. Viele private Konsument*innen können sich diese Fahrzeuge zwar nicht leisten, aber die steuerlichen Privilegien für „Dienstwagen“ – darunter faktisch viele Privatfahrzeuge von Selbstständigen –  und der gute Ruf von Autos made in Germany im Ausland sorgten für Absatz und Profite. Doch die Autos sind zu teuer, der Ruf ist ramponiert.

Die verstärkte Bildung von imperialistischen Blöcken, Zölle und heraufziehende Handelskriege verschlechtern die Position der gesamten deutschen Industrie, deren Exporterfolg bisher darauf beruhte, in alle Richtungen zu liefern. Das produzierende Gewerbe erzeugte im Juni 2024 lediglich 93% des Standes von 2021, im Vergleich mit 2018 ist der Ausstoß – preisbereinigt – um 14,3 Prozentpunkte gesunken.

Die gierige Arroganz der Konzerne wird durch die Unfähigkeit der politischen Vertreter*innen des deutschen Kapitals sowohl in der Ampel als auch der Union ergänzt. Die Ampel beendete im Januar 2024 die staatlichen Kaufprämien für E-Autos und würgte die ohnehin schwache Entwicklung ab. Die bis dahin gezahlten 10 Milliarden staatliche Prämien halfen überwiegend (…) Unternehmen, die ihre Flotte von Geschäftsfahrzeugen erweitert haben“, so der Autokonzern-Kritiker Stephan Krull – über Steuern auch von den ärmeren Teilen der Bevölkerung bezahlt, die sich kein E-Auto leisten können.

Verkehrswende statt Antriebswende

Auf die chinesische E-Auto-Offensive reagieren deutsche Politiker*innen mit dem Schlachtruf „Rettet den Verbrenner!“ und schlagen damit vor, mit Bleifuß in die Sackgasse zu rasen – bezüglich der Auswirkungen auf das Klima und die Arbeitsplätze. Die FDP als extremistischer Flügel der Autolobby begleitet diese Fahrt gegen die Wand mit trumpesken Vorschlägen – weg mit den Fußgängerzonen, freies Parken in der Innenstadt.

Auch die Antriebswende Richtung E-Autos wäre keine Lösung, weder für Klima und Verkehr noch für die Jobs. Bei dem bestehenden Energiemix sind E-Autos alles andere als CO2-neutral, der Strom wird auch über Kohle- und Gaskraftwerke erzeugt. Die ökologischen Kosten der Produktion sind enorm. Innerhalb des kapitalistischen Systems der Konkurrenz von Konzernen und Staaten intensiviert sich der Kampf um die Ausbeutung von Rohstoffen wie Lithium, führt zu Spannungen, Handels- und heißen Kriegen.

Die geringere Fertigungstiefe bei E-Autos führt – sehr stark bei den Zulieferern – zu einem massiven Arbeitsplatzabbau, 200.000 weitere Jobs würden bei der bisher geplanten Umstellung Richtung E-Autos wegfallen, plus weitere Verluste durch Betriebsschließungen und Entlassungen durch Verlust von Marktanteilen.

Für eine echte Mobilitätswende würden allerdings 200.000-300.000 zusätzliche Arbeitskräfte allein in der Produktion von Bussen und Bahnen gebraucht, plus 220.000 bei Bahn, ÖPNV und dem Umbau der Infrastruktur. Würde dies mit einer Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden (bei vollem Lohnausgleich) verbunden, kämen weitere 85.000 Jobs allein in der Produktion dazu. Die Umstellung der Produktion auf komplette Nachhaltigkeit würde also nicht zur Vernichtung von Arbeitsplätzen führen, wenn diese demokratisch gesteuert wird – im Gegenteil. Wir brauchen alle Arbeiter*innen, Techniker*innen und Ingenieur*innen für die ökologische Wende.

Die Fabriken der Autohersteller und Zulieferer könnten für diese gesellschaftlich notwendigen Produkte umgestellt werden, technisch wäre das kein Problem. Die Arbeitsplätze im öffentlichen Verkehr könnten aufgewertet und besser bezahlt werden, dass es für die Beschäftigten der Autoindustrie zur Option wird, dort zu arbeiten.

Der Umbau des Verkehrswesens hin zu öffentlichem Personenverkehr mit maximaler Reduzierung des Ausstoßes von CO² und der Reduzierung der Zahl der Autos steht nicht auf der Agenda der Autokonzerne. Trotz der schweren Krise der Autoindustrie bescheren die Konzerne den Aktionär*innen noch immer Profite. VW machte 2023 16 Milliarden Euro Profit, Daimler 14, BMW 11,5 Milliarden. Selbst der Zulieferer ZF lag 2023 noch in der Gewinnzone. Sie werden diese Profite retten – mit Entlassungen, Betriebsschließungen oder Erpressungen der Beschäftigten, auf Lohnbestandteile zu verzichten. Wenn sie weiter am Ruder sind, werden sowohl die für den Klimaschutz nötige Verkehrswende vergeigt als auch die Beschäftigten Jobs und Einkommen verlieren.

Die Linke. und ihr halbes Herz

Die IG Metall hat auf ihrem Gewerkschaftstag 2023 beschlossen, „Der mit Abstand wichtigste und dringlichste klimapolitische Handlungsansatz liegt daher im Wechsel der Antriebstechnologien.“ und hofft – entgegen der täglichen Erfahrung mit den Auto-Konzernen – darauf, die Antriebswende durch mehr Mitbestimmung und sanftes staatliches Eingreifen gestalten zu können.

Die Partei Die Linke. ist mehrere Schritte weiter. Im August hat sie ein Vier-Punkte-Programm „Autoindustrie: Umbau starten, Jobs retten!“ vorgelegt. Sie tritt für eine Job- und Einkommensgarantie für alle Beschäftigten bei den Autokonzernen und Zulieferern ein, für die Reduzierung der Auto-Produktion und den Umbau hin zu einer Mobilitätsindustrie. Sie hat erkannt, dass die Kapitalist*innen unfähig sind zu diesem Umbau: Die Bundesregierung muss zusammen mit den Belegschaften, Gewerkschaften, Wissenschaft, Umwelt- und Sozialverbänden einen verbindlichen Zukunftsplan für die Industrie entwickeln.“

Sie will „die Konzernbosse in die Pflicht nehmen“ und fordert staatliche Hilfen für den Umbau: Die Autoindustrie muss beim Industrieumbau unterstützt werden: Wir müssen Milliarden in den sozial-ökologischen Umbau der Industrie stecken und sie so zukunftstauglich machen. Das Geld darf nicht einfach in die Taschen der Konzerne wandern, sondern muss an Bedingungen gekoppelt werden.“

Etwas verschämt wirft Die Linke. die Eigentumsfrage auf: „Unter Umständen sind auch Enteignungen nach Art. 14/15 Grundgesetz sowie gesellschaftliche Beteiligungen ein Weg.“ Diese „Umstände“ existieren bereits, flächendeckend. Das ist der einzige und notwendige Weg. Man kann nur kontrollieren, was einem gehört. Ohne Vergesellschaftung werden staatliche Investitionen und Lenkungsmaßnahmen wirkungslos bleiben. Um die Jobs zu erhalten, die Qualifikationen der Beschäftigten zu retten und die Verkehrswende zu schaffen, brauchen wir eine demokratisch geplante Mobilitätsindustrie – ohne Kapitalinteressen. Es reicht nicht, nur Betriebe zu enteignen, die vor der Pleite stehen. Die gesamte Industrie muss umgebaut werden – für den Erhalt aller Arbeitsplätze und die Verkehrswende. IG Metall und Die Linke. sollten offensiv für die Enteignung des Auto-Kapitals und für die Überführung in öffentliches Eigentum eintreten, demokratisch kontrolliert von den Beschäftigten, Umwelt- und Verkehrsinitiativen und den Vertreter*innen von Bund, Ländern und Kommunen.

Kämpferische Mitglieder der IG Metall sollten sich dafür einsetzen, den Kurs der Gewerkschaft zu ändern, das hilflose Co-Management zu beenden und sich für die Verwirklichung des §2 der IGM-Satzung – Überführung der Schlüssel-Industrien in Gemeineigentum – einsetzen.

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