Von März bis Mai 2026 finden die nächsten Betriebsratswahlen statt. Während in kleineren Betrieben sich die Frage stellt, ob es überhaupt Kandidat:innen gibt, stellt sich in Großbetrieben die Frage, wieviel Listen antreten und wie hoch die Wahlbeteiligung ist
Nur noch 37% der Beschäftigten in Betriebe mit fünf und mehr Mitgliedern haben einen Betriebsrat. 1996 waren es noch 50%. Wie der 8-Stunden-Tag sind Betriebsräte ein Ergebnis der Novemberrevolution 1918. Das Betriebsrätegesetz von 1920 blieb weiter hinter den Erwartungen der durch die Revolution radikalisierten Arbeiterschaft und der zum Teil noch existenten Arbeiterräte zurück. In allen entscheidenden betrieblichen Fragen wurde dem Unternehmer per Gesetz die uneingeschränkte Entscheidungsmacht eingeräumt. Deshalb demonstrierten im Januar 1920 in Berlin hunderttausend Arbeiter:innen gegen das Gesetz. 42 Arbeiter:innen wurden von der preußischen Sicherheitspolizei erschossen und 100 verletzt. Eine Gedenkfeier für die Toten wurde verboten. Nach der Übergabe der Regierungsmacht an die NSDAP 1933 wurde das Betriebsrätegesetz abgeschafft und die Betriebsräte verboten.
Betriebsverfassungsgesetz 1952
1952 wurde das Betriebsverfassungsgesetz beschlossen, das den Betriebsräten noch weniger Befugnisse gab als das Betriebsrätegesetz von 1920. Die Arbeiterkontrolle, die sie sich Belegschaften in vielen (Groß)betrieben nach dem Zusammenbruch des Faschismus erkämpft hatten, wurde durch das Betriebsverfassungsgesetz illegalisiert. Es kam deshalb zu Demonstrationen von Hunderttausenden Gewerkschafter:innen und sogar zu politischen Streiks gegen Adenauers Gesetz. Weil die Gewerkschaftsführung die Streiks damals nicht ausweitete, sondern auf Verhandlungen mit der Regierung setzte, wurde das Betriebsverfassungsgesetz ohne Verbesserungen beschlossen. Die zentrale gesetzliche Vorgabe ist bis heute: „Arbeitgeber und Betriebsrat arbeiten ….vertrauensvoll mit dem im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebes zusammen“…..“Maßnahmen des Arbeitskampfes ….sind unzulässig“. Dennoch sind die beschränkten Rechte der Betriebsräte wie Betriebsversammlungen abhalten, um über wichtige Themen zu informieren und zu diskutieren, die Durchsetzung von Arbeitsschutz, Arbeitszeitregelungen wie z.B. home office, Entlohnungsgrundsätzen wie Akkordlohn, Mitbestimmung bei Überstunden und Sozialeinrichtungen…..Rechte, die Belegschaften durchsetzen können, wenn sie einen Betriebsrat haben.
Kämpferische Gewerkschaften und Betriebsräte statt Co-Management
Die Entpolitisierung der Gewerkschaften und ihre Anpassung an das kapitalistische Profit- und Konkurrenzsystem haben dazu geführt, dass sich die meisten Betriebsräte als Co-Manager betrachten. In der Krise führte das dazu, dass sie bereit sind, erkämpfte Errungenschaften über Betriebsvereinbarungen – meist völlig undemokratisch ohne Diskussion und Zustimmung der Belegschaft – zu opfern. Dabei helfen ihnen die von der Gewerkschaftsführung vereinbarten Öffnungsklauseln in Tarifverträgen. Diese Verbetrieblichung der Tarifpolitik führt zur Spaltung innerhalb eines Konzerns und innerhalb einer Branche und schwächt die Gewerkschaften. Das Argument über „freiwilligen“ Personalabbau und Zugeständnisse bei Löhnen und der Arbeitszeit die Wettbewerbsfähigkeit und die Arbeitsplätze zu retten, erweist sich immer wieder als falsch. Gerade jetzt erleben die Belegschaften, dass die Unternehmer immer größeren Arbeitsplatzabbau und Lohnabstriche verlangen und Vereinbarungen über den Ausschluss betriebsbedingter Kündigung in Frage stellen.
Vertrauensverlust und Unmut
Vor allem die IGM setzt seit Jahren ihre Kampfkraft nicht ein und betreibt eine Tarifpolitik von Lohnverzicht. Die Ansagen von Unternehmern, Arbeitsplätze zu vernichten oder zu verlagern, wird nicht mit Kampf beantwortet. Allenfalls gibt es Dampfablassaktionen und dann folgen Vereinbarungen über „sozialverträglichen“ Arbeitsplatzabbau mit zusätzlichen Abstrichen bei Löhnen anderen erkämpften Errungenschaften. Solche kampflosen Niederlagen werden dann von IGM-Apparat und Betriebsräten als Erfolg verkauft, weil man betriebsbedingte Kündigungen verhindert hätte. In vielen Fällen von Zustimmung zu Arbeitsplatzvernichtung werden gleichzeitig weiter Überstunden genehmigt, obwohl Überstunden nach dem Betriebsverfassungsgesetz von Betriebsräten abgelehnt werden können. Die Politik des Co-Managements hat zu einem enormen Vertrauensverlust in Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre geführt. Das führt dazu, dass bei Betriebsratswahlen die offiziellen Listen der Gewerkschaften Konkurrenz von anderen Betriebsratslisten bekommen. Im Gegensatz zu den 70er bis 90er Jahren des letzten Jahrhunderts sind diese Listen aber in der Regel keine Listen von kämpferischen Kolleginnen, sondern es kommt zu einer unpolitischen Zersplitterung im Gewerkschaftslager. Alternative Listen sind oft ein Selbstzweck bzw. ein Versuch, sich durch ein Betriebsratsmandat persönlich abzusichern. So sind bei den vorgezogenen Betriebsratswahlen Anfang Juli bei Porsche 12 Listen angetreten. Davon sind nun 7 Listen im neuen Betriebsrat vertreten und die offizielle IGM-Liste hat zwei Sitze verloren und kam nur noch auf 17 von 41 Mandaten. Die niedrige Wahlbeteiligung von 58% ist ein Ausdruck davon, dass viele Kolleginnen weder in die offizielle IG-Liste noch in eine konkurrierende Liste Hoffnungen setzen.
Gefahr der AfD
Die rechtsextreme AfD-nahe Organisation „Zentrum Automobil“ hat den Unmut in den Autofabriken über die Politik der IGM und ihrer Betriebsräte ausgenutzt und präsentiert sich als Alternative zu deren Co-Management. Erstmals zog sie 2010 bei Daimler Untertürkheim mit 2 Mandaten in den Betriebsratsrat ein. 2022 konnte die Liste sieben ihrer Anhänger als Betriebsräte bei den Wahlen in Untertürkheim durchsetzen. Seit 2018 ist das „Zentrum Automobil“ auch in den Daimler-Werken in Sindelfingen und Rastatt vertreten sowie in Leipzig in den Werken von BMW und Porsche. Ermutigt durch die AfD-Wahlerfolge bei der Bundestagwahl in Regionen mit VW-Werken in Niedersachsen plant das „Zentrum Automobil“, die rechtspopulistische Organisation bei VW zu verankern und wird wohl versuchen bei den Betriebsratswahlen 2026 anzutreten. Die Gefahr besteht, dass sich der Unmut in der Belegschaft bei VW über die von IGM und Betriebsräten mitgetragene Arbeitsplatzvernichtung mit zusätzlichem Lohnverzicht teilweise in Stimmen für das „Zentrum Automobil“ bei den Betriebsratswahlen 2026 ausdrückt.
Kämpferische Betriebsräte machen Unterschied
Gewerkschaften müssen von der Basis wieder in Kampforganisationen verwandelt werden. Statt Standortpolitik braucht es betriebs- und branchenübergreifende Solidarität und gemeinsamen bundesweiten und internationalen Kampf zur Verteidigung der gemeinsamen Interessen der Arbeiterklasse. Dabei muss auch die Verfügungsgewalt der Unternehmer über die Fabriken in Frage gestellt werden. In Mitgliederversammlungen und Vertrauensleutesitzungen sollten Diskussionen darüber stattfinden, wie die Co-Management-Politik von Gewerkschaft und Betriebsräten beendet werden kann und Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit kämpferisch im Interesse der Arbeiterklasse aufgebaut werden kann. Auf der Grundlage dieser Diskussion sollten Kandidaten für die Betriebsratswahl demokratisch und mit einem klaren kämpferischen Programm zu den Betriebsratswahlen antreten. Wenn bei Listenaufstellung kämpferische und aktive Kolleginnen ausmanövriert werden, sollten sie sich zusammenschließen und notfalls mit einem alternativen Programm eine eigene Liste aufstellen. In Großbetrieben wie bei Daimler oder Opel Bochum haben oppositionelle kämpferische Betriebsratslisten in der Vergangenheit den Kampf ihrer Belegschaften positiv beeinflusst und waren über ihren Betrieb hinaus Kristallisationspunkt für kämpferische Kolleginnen und Kollegen. Dass Betriebsräte eine positive Rolle spielen können, das Selbstbewusstsein und die Kampfbereitschaft von Belegschaften aufzubauen, hat sich auch bei dem Dönerhersteller Birtat in Murr (Kreis Ludwigsburg) gezeigt. Mit Unterstützung der Gewerkschaft NGG wurde im September 2024 mit einer Wahlbeteiligung von 90% ein Betriebsrat gewählt. Zehn Monate später hat die 120-köpfige multinationale, prekär beschäftigte Belegschaft eine Lohnerhöhung von 17%, ein Mindesteinstiegsgehalt von 2.600 Euro und die Zusage von Verhandlungen über einen Manteltarifvertrag bis Ende 2026 erstreikt.