Kämpfe gegen Jobvernichtung bei Daimler in Berlin und Untertürkheim

Artikel aus: Junge Welt Ausgabe vom 16.11.2020, Seite 5 / Inland

Außer Betrieb

Passt zu Kahlschlagplänen des Konzerns: Autobauer Daimler will Mercedes-Benz-Werk in Berlin-Marienfelde de facto stilllegen

Von Oliver Rast

Erste Berichte gab es bereits Ende September. Das Daimler-Management will nicht mehr in die Motorenproduktion im Mercedes-Benz-Werk Berlin-Marienfelde investieren. Von aktuell 2.500 Arbeitsplätzen soll der IG Metall (IGM) zufolge lediglich ein Fünftel übrigbleiben. Das wäre faktisch das Aus für den Standort, übrigens das älteste, 1902 gegründete Werk des Autobauers.

Die Belegschaft ist längst alarmiert, zeigt sich kämpferisch. Am vergangenen Donnerstag zog mit rund 1.200 Beschäftigten beinahe die komplette Schicht über das Betriebsgelände vor die Werkstore. Ein Protestsignal für den Standorterhalt samt Aufruf, die Produktion klimafreundlich zu transformieren. Jan Otto, Erster Bevollmächtigter der IGM Berlin, betonte vor den Demonstrierenden: »Wir wissen, dass wir von der Verbrennertechnologie Abschied nehmen müssen. Dazu sind wir bereit.« Das Know-how – von der Fertigung bis zur Entwicklung sei vorhanden. »Der Mut ebenfalls, nur den Managern fehlt er bisher«, sagte Otto.

Jetzt braucht es Initiativen von unten, das wissen die Beschäftigtenvertreter. Die Geschäftsführung reagiere nur, wenn die Lieferketten nicht mehr funktionieren, »und genau da wollen wir hin«, sagte Bojan Westphal, Daimler-Betriebsrat, auf der Kundgebung. Für die Kolleginnen und Kollegen gehe es um die Existenz. Und der Betriebsratsvorsitzende des Werkes, Michael Rahmel, ließ keinen Zweifel aufkommen: »Wir werden um jeden Arbeitsplatz hier kämpfen.«

Die Konzernspitze mit ihrem Chefsanierer und Vorstandsvorsitzenden Ola Källenius hält sich bedeckt, äußerte sich bislang nicht zu Einzelheiten des neuerlichen Kahlschlagplans. Nur soviel: Das Unternehmen hatte verkündet, die Produktionsstrecke des V6-Dieselmotors in Marienfelde einzustellen und sich verstärkt an anderen Standorten auf Elektromobilität zu konzentrieren. Die Fertigung in der Hauptstadt stillzulegen, passt zum Kürzungsprogramm von Daimler, in den kommenden Jahren weltweit 30.000 von etwa 290.000 Stellen zu streichen.

Vor wenigen Tagen löste eine Art Fahnenflucht weiteren Unmut in der Belegschaft aus. Nach IGM-Angaben heuerte der ehemalige Werksleiter René Reif bei Tesla an. Der US-Elektroautobauer zieht nur etwa 50 Kilometer südlich vom Mercedes-Benz-Werk im Eiltempo seine »Gigafactory« in Grünheide hoch. Das Handelsblatt spekulierte in seiner Wochenendausgabe, dass Reif »wohl keine Lust mehr auf den Job als ›Abwickler‹ gehabt habe.« Metaller Otto mokierte sich dabei über »seelenlose Manager«, mit denen man »die Zukunft nicht bauen« könne.

Erste Kundgebungen fanden bereits Anfang vergangener Woche statt. Bis zu 80 Beschäftigte und solidarische Aktivisten versammelten sich vor den Zufahrtsstraßen des Werkes. »Wie stark der Druck ist, etwas zu tun«, habe die Demonstrationsbereitschaft am Donnerstag belegt, sagte Angelika Teweleit, eine der Sprecherinnen der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), am Sonntag gegenüber jW. Die Botschaft der kritischen Gewerkschafter und Daimler-Kollegen stand in großen Lettern auf einem meterlangen Transparent: »Streik ist die einzige Sprache, die sie verstehen.« Für Teweleit ist klar: Es dürfe keine Zugeständnisse mehr geben, die Erfahrung zeige, Verzicht sichere keine Arbeitsplätze, sondern ermutige Konzernbosse zu weiteren Angriffen.

Nur: Wird die IG Metall standhalten, gar in der Krise offensiver auftreten? Zuversicht gibt es. Der Gewerkschaftsvorsitzende Jörg Hofmann hatte am 8. November in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erklärt: »Corona macht uns kreativer in den Aktionsformen, aber nicht zahnlos.« Und wie geht der Kampf um die Traditionsfabrik in Berlin weiter? Aktionen stehen an, eine Großdemo nach der Betriebsversammlung am 9. Dezember etwa. Dann, so der örtliche IGM-Chef Otto, »wird es Feuer vom Himmel regnen.«

https://www.jungewelt.de/artikel/390536.arbeitskampf-au%C3%9Fer-betrieb.html?sstr=daimler%7Cberlin

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Verhandlungsbegleitende Aktionen auch bei Daimler in Untertürkheim

Auch bei Daimler in Untertürkheim fanden letzte Woche verhandlungsbegleitende Aktionen statt. Dort sollen 4000 Arbeitsplätze vernichtet werden. Bereits am 8. Oktober protestierten Tausende KollegInnen bei 6 Aktionen gegen die Jobvernichtung und besetzten ein Daimler-Parkhaus. (siehe dazu: https://www.vernetzung.org/proteste-gegen-job-vernichtung-bei-daimler-in-untertuerkheim-parkhaus-gekapert/). Am 11. November gab es eine Demo sowie ein Autokorso. Mit lautem Hupkonzert und auf Autodächern befestigten Kartons zeigten Vertrauensleute und Beschäftigte ihren Unmut gegen die „Vertragsbrecher“. Der Betriebsrat hatte zur Beschäftigungssicherung wegen des Technologischen Wandels hin zur E-Mobilität einige Betriebsvereinbarungen in den letzten Jahren abgeschlossen, an die sich die Unternehmensleitung nicht mehr halten will. Sie möchte Arbeit nach Osteuropa verlagern, da dort die Löhne wesentlich geringer sind. Um Druck auf die Verhandlungen zu machen, hat der Betriebsrat als erste Eskalationsstufe seit Ende Oktober keine Anträge auf Mehrarbeit mehr genehmigt.

Ein notwendiger und wichtiger Schritt wären jetzt gemeinsame Aktionen von allen Werken, um mit gebündelter Kraft die Angriffe des Daimler-Vorstandes auf einzelne Werke abzuwehren.

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