Modernisierte Betriebsräte

Aus Infomail 1153 der Gruppe ArbeiterInnenmacht, 21. Juni 2021

Eher beiläufig hat der Bundestag das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geändert und dazu das „Betriebsrätemodernisierungsgesetz“ verabschiedet. Dies war im Koalitionsvertrag vorgesehen, und da es nicht so aussieht, als würde diese Koalition die kommende Bundestagswahl überstehen, wurde es schnell noch von Arbeitsminister Heil auf den Weg gebracht, wohl auch als Versuch der SPD, sich als Partei der Arbeit„nehmer“Innen zu profilieren.

Die Änderungen und das neue Gesetz berühren die Themen Schutz von Betriebsratsgründungen, Wahlrechtsalter, Mitbestimmung bei mobiler Arbeit und Kommunikationsmittel. Verabschiedet wurde das Ganze im Paket mit einer Ausweitung der Fristen bei der Saisonarbeit. Die damit erleichterte Ausbeutung ausländischer ArbeitsmigrantInnen bringt für das Kapital deutlich mehr, als es die Kosmetik beim Betriebsverfassungsgesetz kostet.

Saisonarbeit

Statt 70 können dieselben SaisonarbeiterInnen dieses Jahr 102 Arbeitstage sozialversicherungsfrei beschäftigt werden, was vor allem in der Landwirtschaft genutzt wird. Begründet wird dies wie schon 2020, als sogar 115 Tage erlaubt worden waren, mit Infektionsschutz, da die Fluktuation der MigrantInnen geringer sei. Durch die Pandemie sind skandalöse Zustände auf vielen Höfen bekanntgeworden: Masseninfektionen, unbehandelte Kranke und viele Todesfälle, die übliche Beherbergung in Massenunterkünften, vorenthaltener Arbeitslohn, Arbeitszeitbetrug der Betriebe, Abrechnung überhöhter Beherbergungskosten, Bewachung in geschlossenen Lagern.

Die Krönung war und ist die „Arbeitsquarantäne“, bei der alle – auch Kranke – weiterarbeiten, aber keinen Kontakt nach außen haben und auch nicht nach Hause fahren dürfen. Alle diese Probleme wurden von der Regierung nicht angegangen, stattdessen wurde die Ausnutzung dieser Arbeitskräfte vereinfacht. Sozialversicherungsfrei heißt, dass die Betriebe diese Kosten sparen und den Beschäftigten keine Krankenversicherung aus diesem Arbeitsvertrag zusteht – in der Zeit der Pandemie!

Die AusbeuterInnen jubeln auf agrarheute: „Der Bauern- und Winzerverband Rheinland-Pfalz Süd (BWV) reagierte erleichtert auf den Kabinettsbeschluss. Dies sei eine wichtige Entscheidung im Sinne der Pandemiebekämpfung und der Sicherung der regionalen Lebensmittelproduktion, stellte der BWV fest.“

Waagschale

Und was ist bei diesem großkoalitionären Deal für die Beschäftigten in Betrieben und Verwaltungen herausgekommen? Was hat Hubertus Heil produziert, damit der DGB dies als Fortschritt preisen kann?

Die Senkung des Wahlrechtsalters zu Betriebsratswahlen von 18 auf 16 ist natürlich längst überfällig. Wer als Jugendlicher ausgebeutet wird, soll auch wählen dürfen. Aus gutem Grund wird dies in den Kommentaren zur Gesetzesänderung aber kaum erwähnt: Es gibt praktisch keine Jugendlichen dieses Alters in Betrieben mit Betriebsrat (BR). Das tatsächliche Problem ist vielmehr, dass dort, wo viele junge Menschen arbeiten, oft auch in Teilzeit, eine hohe Fluktuation herrscht – was nicht nur die BR-Gründung, sondern auch die Wahl von jungen Menschen in dieses Gremium erschwert. Hier wäre dringend eine Verkürzung der Wahlperioden nötig – von 4 auf 3 Jahre wie früher oder, noch weitaus sinnvoller, auf 1 oder 2 Jahre. Das lehnen nicht nur die Unternehmen ab, sondern das wollen natürlich auch die eingesessenen BR-BürokratInnen in keinster Weise, müssten sie sich doch in kürzeren Intervallen zumindest einer formalen Wahl und einer gewissen Rechenschaft gegenüber der Belegschaft stellen.

Mobile Arbeit, die jetzt gesetzlich auch das Homeoffice umfasst, wird durch die Gesetzesänderung als solche mitbestimmungspflichtig – in der Ausgestaltung. Was eingeführt wird, bleibt alleinige Unternehmensentscheidung. Und selbst die Verbesserungen relativieren sich, denn schließlich waren die einzelnen Themen, die dabei eine Rolle spielen wie Lage und Erfassung der Arbeitszeit, Ausgestaltung des Arbeitsplatzes, Arbeitssicherheit usw. schon bislang mitbestimmungspflichtig.

Dieser Punkt ist ebenso wie die Möglichkeit, zukünftig BR-Sitzungen auch online abzuhalten, und andere „Modernisierungen“ nicht der Brecher.

Recht und Macht

Der Kern der Gesetzesänderung sollte darin bestehen, die Gründung von Betriebsräten zu erleichtern bzw. die Verhinderung derselben zu erschweren. Das war als Dankesgeschenk an die Gewerkschaften für ihre Unterstützung der Großen Koalition gedacht.

Tatsächlich ist die Zahl der BR im Land zurückgegangen: Nur etwa 10 % der Unternehmen haben einen solchen, in diesen arbeiten etwa 40 % der Beschäftigten. Im Westen liegt die Zahl höher als im Osten, insgesamt ist sie seit Jahrzehnten rückläufig. Nur in den letzten zwei Jahren konnte sie sich leicht stabilisieren. Sicher ist, dass dies mit aggressivem Vorgehen seitens der Unternehmensführungen zu tun hat, mit der Entfernung von Beschäftigten, die eine BR-Gründung anstreben, durch Kündigung oder Abfindung.

Betriebsratsmitglieder, auch Ersatzmitglieder und KandidatInnen, sowie diejenigen, die als Wahlvorstände eine Wahl initiiert haben, können allerdings auch bisher nicht einfach gekündigt werden: Sie genießen einen Schutz durch ihre Funktion und ein Betriebsrat als Institution kann Kündigungen als solche zwar auch nicht verhindern, aber erschweren. Und hier gibt es die einzige kleine Änderung: Auch die InitatorInnen von BR-Wahlen erhalten zukünftig einen gewissen Schutz. Für den Kampf gegen Union-Busting reicht das nicht.

Union-Busting

Mit den Angriffen auf Betriebsräte wird oft gleichzeitig gewerkschaftliche Arbeit be- und verhindert, denn jede/r Beschäftigte darf zwar Mitglied einer Gewerkschaft sein, wenn aber GewerkschafterInnen im Betrieb ohne BR aktiv werden, verfügen sie über keinerlei effektiven Schutz. Unter AktivistInnen ist deshalb der US-amerikanische Begriff des „Union-Busting“, der gezielte Angriff auf Betriebsräte und Betriebsratsgründungen, auch für Deutschland übernommen worden, auch wenn die rechtlichen Bedingungen komplett anders liegen.

Die Methoden der „BusterInnen“ reichen von Einschüchterung der Belegschaft, „Rauskaufen“ von AktivistInnen bis hin zu Unterschieben von Diebstahl, Arbeitszeitbetrug oder physischen Übergriffen. Dabei kommt den Firmen zugute, dass selbst kleine Verfehlungen, die im zivilen Leben, wenn überhaupt, dann geringfügig bestraft werden, in der Arbeitsrechtsprechung ein „zerrüttetes Vertrauen“ darstellen, das einen Verlust des Arbeitsplatzes rechtfertigt.

Der bürgerliche Staat schützt das Recht des Kapitals auf Ausbeutung nicht nur im individuellen Arbeitsverhältnis, sondern untermauert die Machtverhältnisse auch im kollektiven Arbeitsrecht. Es gibt in Deutschland keine staatlichen Institutionen, die kontrollieren, ob die zugunsten der Beschäftigten geltenden Gesetze und Vorschriften in den Betrieben eingehalten werden. Das wird aber explizit den BR überlassen und zu ihrer Kernaufgabe erklärt (BetrVG §80 Abs 1). Aber es gibt keine Pflicht für die Unternehmen, BR einzuführen. Das wird dem jeweiligen betrieblichen Kräfteverhältnis überlassen und die Strafen für die Behinderungen von Betriebsratswahlen bzw. der Arbeit von BR sind lächerlich. In einem Brief an Heil hatten deshalb im Vorfeld GewerkschafterInnen und  JuristInnen im Aufruf „Betriebsräte effektiv stärken!“ folgende Forderungen aufgestellt:

„1. Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Wirtschaftskriminalität/Sonderabteilungen für Arbeitsbeziehungen! Für effektive Aufklärung und Strafverfolgung krimineller Unternehmer und ihrer auf Union Busting spezialisierten Dienstleister (Rechtsanwälte, Detekteien). Hier geht es um einen Komplex, der neben Betriebsratsbehinderung regelmäßig andere Straftaten umfasst wie Diskriminierung, Prozessbetrug, Anstiftung und Verabredung zu Straftaten, juristische Nachstellung (Stalking), Nötigung, Bestechung, Ausspähung (Verletzung der informationellen Selbstbestimmung).

Oft werden Betriebsräte auch deshalb unterdrückt, weil Unternehmen die Aufdeckung anderer Delikte befürchten wie Sozialabgabenbetrug, Steuerhinterziehung, Verstoß gegen Mindestlohn, Arbeitsschutz + Arbeitszeiten etc.

2. Erklären Sie Betriebsratsbehinderung zum Offizialdelikt! Dadurch steigt das Strafmaß und somit das Verfolgungsinteresse der Staatsanwaltschaften. Offizialdelikte müssen im Gegensatz zu Antragsdelikten vom Staat verfolgt werden, sobald Kenntnis besteht. Bislang kann Betriebsratsbehinderung nur durch den betroffenen Betriebsrat oder eine vertretene Gewerkschaft angezeigt werden.

Auf Betriebsratsbehinderung steht derzeit dieselbe Strafe wie auf Beleidigung. Doch Union Busting ist kein Kavaliersdelikt. Union Busting ist gegen das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit am Arbeitsplatz gerichtet und damit verfassungsfeindlich.

3. Führen Sie ein verpflichtendes Melderegister für Betriebsratswahlen ein! Die genaue Zahl der Betriebsräte und Betriebsratsgründungen in Deutschland ist ebenso unbekannt wie ihre Entwicklung oder ihr Scheitern. Bislang gibt es nur grobe Schätzungen aufgrund von Stichproben. So sollen laut IAB nur noch ca. 9 % aller wahlberechtigten Betriebe mit fünf oder mehr Angestellten einen Betriebsrat haben. Doch der Befund ist umstritten und vermutlich zu optimistisch. Es fehlen genaue, empirische Daten … “

Diese Forderungen sind richtig und unterstützenswert und der ganze Zusammenhang zeigt deutlich, dass diese Bundesrepublik ein Staat zum Schutz der Klassenherrschaft des Kapitals ist, in der die Rechte der ArbeiterInnenklasse immer nur bedingt sind. Deshalb reichen auch die demokratischen und rechtsstaatlichen Forderungen dieser Unterschriftensammlung nicht aus.

Die Grenzen der Betriebsverfassung

Laut Betriebsverfassungsgesetz sollen Betriebsräte das Wohl der Beschäftigten und des Betriebes im Auge haben – je zugespitzter der Klassenkampf, desto unmöglicher wird die Aufgabe, eine Form gesetzlich verordneter Klassenzusammenarbeit zu erfüllen, und desto untauglicher werden auch die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der BR.

Zweitens handeln BR als Stellvertreter, nicht als Organisatoren der Belegschaft. Die Mitwirkungsmöglichkeiten, die selbst dieses Gesetz hergibt, werden von ihnen regelmäßig nicht genutzt und die Belegschaften vor vollendete Tatsachen gestellt. In der Praxis platzieren sie sich eher als VermittlerInnen zwischen Management und Beschäftigte.

Beschäftigte und Belegschaften müssen deshalb weiterhin auch gewerkschaftliche Strukturen in den Betrieben (Betriebsgruppen, Vertrauensleute) aufbauen und direkte und demokratische Organisationsformen finden, wenn sie in den Kampf gehen wollen oder müssen. Aktions- und Streikkomitees auf betrieblicher oder überbetrieblicher Ebene sind dort nötig, wo die gesetzliche Vertretung verwehrt wird, aber auch dort, wo sie existiert und dieser gesetzliche Rahmen nicht ausreicht.

Klassenzusammenarbeit in der Praxis

Die DGB-Gewerkschaften haben die Forderungen des zitierten offenen Briefes nicht unterstützt. Der Apparat verkauft die gesetzlichen Reformen lieber als großartigen Verhandlungserfolg. Natürlich kommentieren die BürokratInnen die Gesetzesänderung in dem Sinne, dass sie einen Fortschritt darstelle, aber mehr folgen müsse. Den Preis, die verschärfte Ausbeutung der SaisonarbeiterInnen, ignorieren sie bei dieser Bewertung natürlich. Es geht ihnen darum, die sozialpartnerschaftlichen, rein gewerkschaftlichen und reformistischen Illusionen aufrechtzuerhalten: Die Große Koalition – die Zusammenarbeit mit der Regierung, mit CDU und SPD – habe etwas gebracht, wir bräuchten wieder eine solche Konstellation. Weiter so, Deutschland!

Diese Klassenzusammenarbeit auf politischer Ebene entspricht der Zusammenarbeit im Betrieb auf der praktischen Grundlage des BetrVG. In den Großbetrieben übernehmen die BR meist eine Ordnungsfunktion im Sinne des Kapitals. Alle Konflikte sollen möglichst ohne Störung der Mehrwertproduktion gelöst werden. Diese Orientierung der BR, die von den Gewerkschaften getragen wird, muss sich natürlich immer wieder als im Interesse der Betroffenen darstellen.

Das Tagesgeschäft der meisten BR besteht unter den aktuellen Bedingungen letztlich darin, aus jedem Angriff des Kapitals immer noch „das Beste“ zu machen und beispielsweise Entlassungen „sozial“ zu gestalten durch Altersteilzeit oder Transfergesellschaften. Oder darin, die Leiharbeit nicht zu verhindern, aber einen betrieblichen oder branchenweiten Zuschlag zu vereinbaren, der das Ganze noch immer lukrativ für das Kapital und die Leiharbeitenden willfährig macht, da sie ihren Job in dieser Firma nicht verlieren wollen, und die Stammbelegschaft durch diese willfährigen Leiharbeitenden unter Druck setzt.

Diese Ordnungsfunktion

Diese Zusammenarbeit, die letztlich immer im Interesse des Kapitals erfolgt, geht so weit, dass unliebsame GewerkschafterInnen und Betriebsratsmitglieder in trauter Eintracht von Kapital und Betriebsratsspitze entlassen werden. So wurde der IG Metall-Betriebsrat Karsten vom Bruch bei Bosch in Stuttgart unter einem Vorwand entlassen, genau zu dem Zeitpunkt, als er als Softwareentwickler die Beteiligung von Bosch an der Entwicklung der Abgasbetrugssoftware innerbetrieblich zur Sprache brachte.

Der Betriebsrat Adnan Köklü aus Salzgitter wurde entlassen, als er mehr Transparenz forderte. Die Stellungnahme des BR-Vorsitzenden Cakir spricht für sich: „Herr Köklü hat in den vergangenen Monaten nichts unversucht gelassen, durch wahrheitswidrige Unterstellungen und eine gezielte Verleumdungskampagne einzelne Betriebsratsmitglieder und den Betriebsrat in Gänze zu diffamieren.“

Und weiter im Artikel auf regionalheute.de: „Belege für seine Behauptungen habe er hingegen keine. Ein Ausschlussverfahren aus dem Betriebsrat wurde beim Arbeitsgericht Braunschweig beantragt, da eine Zusammenarbeit mit ihm ‚unzumutbar’ sei. Eine Entscheidung wird bei der Verhandlung am Mittwoch gefällt werden. Mehrere Abmahnungen haben inzwischen zu einer außerordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung Köklüs geführt, da sein Verhalten ‚betriebsschädigend’ sei. ‚Von Mobbing durch den Betriebsrat kann nicht ansatzweise die Rede sein’, heißt es in der Stellungnahme Cakirs. Auf diese Weise würden Täter als Opfer dargestellt werden.“

Die Logik des BR-Vorsitzenden Cakir: Wir mobben nicht, wir unterstützen die Entlassung. Die einzige glaubwürdige Tat – eine unabhängige Untersuchungskommission einzurichten – kommt diesem Bürokraten genauso wenig in den Sinn wie der Mehrheit der Bosch-Betriebsratsmitglieder in Stuttgart. Beide Kollegen haben übrigens erfolgreich gegen ihre Kündigungen geklagt.

Das Beispiel zeigt: Union-Busting geht auch von Betriebsratsbossen aus, deren letztlich gewerkschaftsschädigendes Verhalten von der Gewerkschaft nicht in Frage gestellt wird. Leider scheuen viele Initiativen, die gegen Union-Busting und Behinderung von BR-Arbeit aktiv sind, die Fälle anzusprechen, wo dies mit Unterstützung von BR-FürstInnen geschieht und mit Unterstützung oder Duldung durch GewerkschaftsfunktionärInnen.

Der Kampf für mehr Rechte der Beschäftigten, für Gewerkschaften und Betriebsräte gegen Kapital und Staat muss daher einhergehen mit einem konsequenten Eintreten gegen diejenigen, die diese Rechte missbrauchen, als Privilegien der Bürokratie nutzen und damit unterminieren.

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