Wer den Kapitalismus kritisiert, hat an der Technischen Universität München (TUM) nichts zu suchen. So argumentiert zumindest die Personalabteilung der Eliteuniversität aus Süddeutschland, die sich in einem Anstellungsverfahren diese Positionen des bayerischen Verfassungsschutzes zu eigen gemacht hat. Ist das noch die politische Unabhängigkeit der Wissenschaft?
Im Rahmen eines Anstellungsverfahrens 2022 wurde dem ver.di-Kollegen und TUM-Absolventen Benjamin Ruß seine Systemkritik zum Verhängnis. Der TUM-Lehrstuhl für Kartographie und visuelle Analytik hatte sich für ihn als Angestellten entschieden. Nach dem Einreichen der notwendigen Unterlagen bei der Personalabteilung, u.a. dem in Bayern üblichen Fragebogen zur Mitgliedschaft in sogenannten „extremistischen Organisationen“, folgte die Prüfung auf Verfassungstreue durch ebendiese. Dazu gehörte auch eine Anfrage zur Person des Kollegen beim bayerischen Verfassungsschutz. Soweit, so normal und Teil des tariflich festgelegten Vorgehens bei Neueinstellungen in öffentlichen Einrichtungen in Bayern. Zwei Monate später forderte die Personalabteilung in Absprache mit den Beamten des Verfassungsschutzes den Kollegen dann zur Stellungnahme in sechs Punkten auf.
Ihm wurden Umsturzabsichten, Gewaltorientierung und die Ablehnung des Kapitalismus zum Vorwurf gemacht. Es befanden sich unter den Vorhaltungen vermeintlich verurteilende Zitate aus veröffentlichten Texten und Beobachtungen des Anzustellenden bei politischen Veranstaltungen. Besonders problematisch sei seine wissenschaftlich-marxistische Weltanschauung. Der Kollege organisierte sich daraufhin mit Unterstützung des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes unter anderem die ehemalige Bundesjustizministerin und Rechtsprofessorin Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin als anwaltliche Vertretung. In einem sechsseitigen und umfassenden Schreiben an die Personalabteilung widerlegte der Kollege sämtliche Vorwürfe. Ihm wurden von Seiten des Verfassungsschutzes zusätzlich strafrechtliche Vorwürfe gemacht. Vorwürfe, die sich nach Akteneinsicht durch die Anwälte als völlig haltlos und frei erfunden erwiesen. Im Gegenteil: aus den Videos in den Akten ging eindeutig hervor, dass Polizeibeamte während einer Demonstration den Kollegen zu Boden gestoßen und ihn am Boden liegend mit Morddrohungen („Bleib unten, sonst schlag ich dir den Schädel ein!“) und Beleidigungen („Bringt‘s ih weg, den Arsch!“) bedacht hatten. Aus einem Angriff auf ein ver.di-Mitglied konstruierte die TU München in Komplizenschaft mit dem bayerischen Verfassungsschutz so die angebliche Gewaltbereitschaft von Benjamin Ruß. Das grenzt quasi schon an Rufmord. Auf alle Fälle sollte auf diese Art ein möglichst erschreckendes und falsches Bild des Kollegen gezeichnet werden.
Anti-Marxismus als Staatsräson
Die Antwort von TUM-Kanzler Albert Berger auf diese Stellungnahme kam Ende August 2022. Auf nicht einmal zwei Seiten lehnte er die Anstellung des M.Sc. der Geoinformatik ab. In seinem Schreiben wurden bewusst Aussagen aus der Stellungnahme des Kollegen verfälscht zitiert und falsche Behauptungen ohne jegliche Beweise aufgestellt.
Dabei stellte sich heraus, dass Kanzler Berger die Stellungnahme des Kollegen Ruß weder gelesen, noch sich die Mühe gemacht hatte, das „Ghostwriting“ des Verfassungsschutzes in seinem Antwortschreiben zu verbergen. Diese ungeprüfte Übernahme der Argumentation desjenigen Beamtenapparates, der tausende Dokumente im Kontext der NSU-Morde zerstören ließ, zeichnet zunehmend das Bild einer staatlichen Forschungseinrichtung, die absolut kein Problem damit zu haben scheint, im Namen des Staates unwissenschaftlich zu agieren. Besonders kritisch in seinem Schreiben ist dann folgende Stelle, die wir hier zitieren: „Ihr Mandant bedient sich in der Gesamtheit seiner Äußerungen (die uns seitens Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz vorliegen und die verdeutlicht werden durch seine eigene Stellungnahme) klassischer Begriffe wie Faschismus, Rassismus, Kapitalismus, Polizeigewalt/-willkür, mittels derer auch die Gegnerschaft zur bestehenden Ordnung betont und begründet wird.“
Der Kanzler einer weltweit renommierten, deutschen Universität macht sich hier also die Position zu eigen, dass allein schon die ausführliche Auseinandersetzung mit den im Zitat genannten gesellschaftlichen Phänomenen eine verfassungsfeindliche Einstellung einer Person erkennen lasse. Das bedeutet konkret: wer als TUM-Angestellter ein Problem mit Faschismus und Rassismus hat, wer den Kapitalismus nicht als historisch ewig gesetztes Ende der Geschichte versteht, ist schon der Verfassungsfeindlichkeit verdächtig. Wer sich darüber hinaus in Wissenschaft und Lehre mit marxistischen Thesen beschäftigt, sich deren auch als Teil des eigenen Repertoires in der Forschung bedient, gelte ebenso als verfassungsfeindlich. Dazu formulieren die Anwälte des Kollegen in einer Replik auf das Schreiben des Kanzlers:
„Bedauerlicher Weise berücksichtigt der Bescheid vom 22.08.22 in unzulässiger Weise auch andere wichtige Entscheidungen der Rechtsprechung nicht. Das gilt zum einen für die Behauptung, „Marxismus“ sei ein Hinweis auf mangelnde Verfassungstreue. Dazu hat das BVerfG bekanntlich im 25. Band seiner amtlichen Sammlung entschieden, dass Marxismus eine Weltanschauung sei, wegen der niemand benachteiligt werden dürfe (BVerfG 12.2.1969 – 1 BvR 42/69, BVerfGE 25, 230, 233, 234; deutlich auch ArbG Berlin 30.7.2009 –33 Ca 5772/09, NZA-RR 2010, 70) Auch das wird in dem o.a. Bescheid weder gewürdigt noch berücksichtigt.“
Eine weitere, problematische Position ergibt sich beispielsweise aus dem Vorwurf an den abgewiesenen Kollegen, die „Durchsetzung einer grundlegenden Veränderung der Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln und einer substanziellen Einschränkung der Kapitalmacht“ müsse als Ausdruck der Verfassungsfeindlichkeit gewertet werden. Die vermeintliche Auffassung des TUM-Kanzlers ist weder mit dem Grundgesetz vereinbar noch ist sie gesellschaftlich und politisch haltbar. Demnach müssten ja 59% der Berliner Bevölkerung, die in einem Volksentscheid für die Enteignung des Immobilienkonzerns „Deutsche Wohnen“ gestimmt haben, als verfassungsfeindlich gelten. Es wäre absurd, den Unterstützer*innen dieses Volksbegehrens wegen Zweifeln an ihrer Verfassungstreue den Zugang zum öffentlichen Dienst verweigern zu wollen. Dies läge aber in der Konsequenz der Ausführungen des Schreibens von Kanzler Berger. Und nicht nur das. Enteignungen sind immer wieder Diskussionen im gewerkschaftlichen Kontext. Wer, wie TUM-Kanzler Berger, derartige Positionen vertritt, der greift damit grundlegende Positionen von Gewerkschaften und der Arbeiter*innenbewegung an. Wer mit derlei Argumenten die Anstellung eines Kollegen verhindern möchte, der betreibt wohl präventives Union-Busting.
Hinterhältige Methoden und Gewerkschaftsfeindlichkeit
Wie sich im Verlauf dieser Auseinandersetzung außerdem herausstellte, ließ die TU München die ausgeschriebene Stelle im Juni 2022 mit einer anderen, bis dato unbekannten Bewerberin besetzen, ohne den Kollegen Ruß von diesem Vorgang in Kenntnis zu setzen. Diese Art der Konkurrenzverdrängung ohne Information des verdrängten Konkurrenten ist arbeitsrechtlich unzulässig. Ihm wurde so das Recht auf Rechtsschutz bewusst verunmöglicht. Benjamin Ruß hatte daher Ende Februar 2022 gemeinsam mit Ex-Bundesjustizministerin Prof. Däubler-Gmelin Klage gegen die TU München vor dem Münchner Arbeitsgericht eingereicht.
In der Klageerwiderung wiederholen die Anwälte der TU München die Anschuldigungen gegenüber Ruß und sind empört darüber, dass der durch die Personalabteilung abgelehnte ver.di-Kollege „ungeniert“ (sic!) den monatelangen Schriftwechsel zwischen ihm und der Personalabteilung im Kontext seines Bewerbungsprozesses an TUM-Kolleginnen und -Kollegen weitergeleitet hätte. Er hätte durch die alleinige Weiterleitung, also durch die Offenlegung dieser Dokumente, gegen die TUM „agitiert“. Weiterhin echauffieren sich die Anwälte im Namen der Personalabteilung im selben Schriftsatz, dass der Kollege sich an den Personalrat und die ver.di-Betriebsgruppe gewendet, sie über den Vorgang seines Bewerbungsprozesses informiert und auf sie eingewirkt habe. So seien dann letztendlich auch mehrere Artikel in der ver.di-Betriebszeitung entstanden. Gewerkschaftliches Engagement wird hier als Aufwiegelung der Mitarbeiter gegen die Personalabteilung gewertet. Methoden aus dem Business des Union-Bustings.
Benjamin Ruß ist dabei kein Einzelfall. Allein in Bayern häufen sich Fälle in den letzten Jahren deutlich: ob wissenschaftliche Mitarbeiter, Lehrkräfte oder Angestellte im öffentlichen Dienst. Gegenüber politisch agierende Kolleginnen und Kollegen wird vermehrt Repression ins Feld geführt, sei es durch Abmahnungen, Kündigungen und durch Union Busting. Bei Streiks ist eine erhöhte Polizeipräsenz wahrzunehmen, teilweise werden Streikdemonstrationen durch die Polizei sogar schon angegriffen. Gleichzeitig werden Geheimdienst- und Polizeirechte weiter ausgebaut.
Der Kampf gegen die Wissenschaftsfeindlichkeit beginnt an deutschen Universitäten
Die Angriffe der TU München auf Positionen der Gewerkschaften, die Angriffe auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in unserer Gesellschaft, sind Teil des politischen Rechtsrucks sowie der sich entwickelnden Wissenschaftsfeindlichkeit in weiten Teilen der Bevölkerung. Diese Tendenzen müssen aus gewerkschaftlicher und klassenkämpferischer Perspektive entschieden bekämpft werden. Daher ist es begrüßenswert, dass ver.di München den Kollegen Benjamin Ruß entschiedenst unterstützt, sowohl durch ihren Rechtsschutz, als auch durch Veranstaltungen und Veröffentlichungen.
Die Befragung zur Verfassungstreue an bayerischen Universitäten und anderen staatlichen Einrichtungen ist die Fortführung des Radikalenerlasses und gehört sofort beendet. Diese Form des vermeintlichen, staatlichen Antifaschismus ist ein völlig unbrauchbares Werkzeug. Auf Grundlage unwissenschaftlicher Proklamationen wie der sogenannten Hufeisentheorie, bildet dieser Fragebogen ein trojanisches Pferd, um die Arbeiter*innenbewegung in all ihren Facetten zu diskriminieren und zu drangsalieren. Stattdessen braucht es an den bayerischen Universitäten eine demokratische Selbstorganisierung der Kolleginnen und Kollegen, gemeinsam mit den Studierenden und Dozentinnen und Dozenten. Nicht zuletzt die Verstrickungen besonders des bayerischen Verfassungsschutzes beim Aufbau des NSU haben gezeigt, dass man sich auf die staatlichen Einrichtungen im Kampf gegen den Faschismus nicht verlassen darf, sondern nur die Selbstorganisierung der Arbeitenden und Unterdrückten einen wirksamen Schutz bieten können. Zudem ist es in diesem Kontext von bedeutender Wichtigkeit, jegliche Formen der unternehmerischen Universitäten zu bekämpfen, denn die Interessen der Konzerne gelten nicht dem wissenschaftlichen Prozess, sondern der technischen Weiterentwicklung des Profits.
Prozess und Kundgebung
Am 9. Februar 2024 findet nun der Prozess vor dem Münchner Arbeitsgericht statt. Als VKG unterstützen wir die Klage des Gewerkschaftsmitgliedes Benjamin Ruß vollumfänglich und rufen zur Unterstützung auf. Prozessbeginn der öffentlichen Verhandlung ist um 11:15, zuvor ist eine stationäre Versammlung vor dem Gerichtsgebäude angemeldet.