Die französische Regierung unter ihrem „Sonnenkönig“-Modernisierer Macron will eine erzreaktionäre Rentenreform durchsetzen. Sie beruht auf zwei Säulen: Zum einen soll ‒ nach deutschem Vorbild ‒ ein Punktesystem eingeführt werden, zum anderen soll das Renteneintrittsalter angehoben werden. Bei früherem Renteneintritt drohen dann (ebenfalls nach deutschem Vorbild) empfindliche Abschläge.
In den Medien ‒ gerade auch in Deutschland ‒ wird die Reform als notwendige Vereinheitlichung und als Abbau von Privilegien verkauft. In Wirklichkeit geht es aber darum, dass die Renten für alle sinken werden, ganz besonders für diejenigen, die aufgrund starker beruflicher Belastung (etwa wegen des Schichtdiensts in den Verkehrsbetrieben) ein paar Jahre früher in Rente gehen können.
Nun hat die Regierung unter dem Eindruck der wochenlangen Kundgebungen und Streiks ein kleines Zugeständnis gemacht und will damit die Bewegung und die Gewerkschaften spalten. In Wirklichkeit ist aber das Verschieben der Anhebung des Renteneintrittsalters nur eine Nebensache, denn der Kern der Reform liegt in der Einführung des Punktesystems. Allein damit werden die Renten im Schnitt um 25 Prozent sinken.1 Und der spätere Renteneintritt bleibt ja weiter das Ziel der Herrschenden und kann schneller kommen als manche denken.
Der Systemwechsel reiht sich ein in eine lange Reihe von Abbaumaßnahmen sozialer Errungenschaften. Geht dieser Kampf verloren, wird dies sowohl in Frankreich als auch in anderen Ländern die Herrschenden zu neuen Angriffen ermuntern. So werden auch bei uns die Bestrebungen für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit neuen Auftrieb bekommen. Letztlich geht es um nichts weniger als um die weitere Aushöhlung der sozialen Sicherungssysteme und im selben Aufwasch um die Zerschlagung gewerkschaftlicher Gegenmacht.
Trotz gewaltiger Medienkampagnen gegen die Streikenden und trotz der Unannehmlichkeiten, die sie mit den Streiks auch vielen Menschen der einfachen Bevölkerung bereiten, haben die Kolleg*innen in Frankreich in dieser wichtigen Angelegenheit eine beeindruckende Kampfkraft an den Tag gelegt. Sie streiken seit Wochen unter großen Opfern und ohne Streikgeld! Die Organisierung der Solidarität ist an vielen Stellen mustergültig.
Nicht nur weil das Anliegen der Kolleg*innen in Frankreich auch für uns von großer politischer Bedeutung ist, erklären wir unsere uneingeschränkte Verbundenheit mit ihrem Kampf. Wir wenden uns gegen die Kriminalisierung der Streikenden und gegen die brutale Gewalt der französischen Polizei. Wir betrachten es als die vordringlichste Pflicht internationaler Solidarität, den französischen Kolleg*innen unsere volle Sympathie und unsere besten Wünsche zu übermitteln. Unsere Möglichkeiten, der materiellen Unterstützung sind zu bescheiden, als dass wir sie euch, liebe Kolleginnen und Kollegen, als nennenswert wirksame Maßnahme anbieten können. Dort, wo wir an verschiedenen Spendensammlungen teilnehmen können, werden wir das tun.
Gleichzeitig aber wenden wir uns hiermit an die Vorstände unserer Gewerkschaften und des DGB und fordern vor allem eine politische, aber auch materielle Solidarität ein. Für den extrem wichtigen den Kampf der Kolleg*innen in Frankreich ist es von enormer Bedeutung, wie sich die deutschen Gewerkschaften, die ja im Kern mit den gleichen Fragen konfrontiert sind, in diesem Konflikt verhalten. Wir richten dieses Schreiben also sowohl an die französischen Kolleg*innen als auch an den DGB-Bundesvorstand und die Vorstände seiner Einzelgewerkschaften.
1 https://www.cgt.fr/actualites/reforme-des-retraites-une-baisse-des-pensions-de-25