Union Busting in Bayern

In Bayern häufen sich in den letzten Monaten Fälle von zunehmender Repression am Arbeitsplatz. Betroffen sind aktive Gewerkschaftsmitglieder. Den Kolleg*innen wird unter fadenscheinigen Gründen fristlos gekündigt oder ihnen wird mit der Kündigung gedroht. Dabei wiederholt sich ein Schema: in allen Fällen waren die Gewerkschafter*innen zuvor erfolgreich darin, ihre Kolleg*innen in den Betrieben zu organisieren, sei es für einen Betriebsrat oder für den Streik in einer Tarifrunde. Dabei spielt es keine Rolle, in was für einem Konzern sie angestellt sind. Egal ob Großkonzern, Familienbetrieb oder Start Up – die abstrusen Gründe für deren Kündigungen wurden schnell gefunden. Von zufälligen Erscheinungen kann hier nicht mehr die Rede sein. Der Rechtsschutz der Gewerkschaften ist in Dauerbetrieb. Das Ganze vor dem Hintergrund drohender Massenentlassungen, einer Veränderung der Arbeitsmittel, einhergehend mit Regierungsauflösung, Sozialabbau und einer massiven Militarisierung der Gesellschaft.

Der erste Fall, der dieses Jahr über München hinaus Schlagzeilen machte, ist der von Neli Birks. Seit mehr als 15 Jahren in ihrem Betrieb eurotrade GmbH und seit 18 Jahren am Münchner Flughafen beschäftigt, kommt es nach einem der teilnehmerstärksten Tarifrunden in der Geschichte des ver.di-Fachbereichs Handel zum Eklat mit dem Handelsunternehmen eurotrade. Acht Tage nach der Tarifvertragsunterzeichnung im Einzelhandel wird die aktive ver. dianerin fristlos und dazu noch außerordentlich gekündigt, mit einer 7:6-Zustimmung des Betriebsrates. Der Vorwurf: Missachtung der Datenschutzverordnung. Dabei gibt es bei eurotrade gar keine Datenschutzverordnung. Die zuständige Arbeitsagentur zahlte ihr zwölf Wochen kein Arbeitslosengeld. Eurotrade lieferte selbst nach dreimaliger Anfrage durch die Arbeitsagentur keinerlei Informationen über die Gründe der fristlosen Kündigung und machte damit die Sperre erst möglich. Der Münchner Oberbürgermeister und Aufsichtsratsmitglied bei eurotrade Dieter Reiter (SPD) interveniert nicht, obwohl die Problematik seitens der Gewerkschaft in einem offenen Brief an den Aufsichtsrat gemeldet wird. Dem Unternehmen geht es schlicht und ergreifend darum, dass Neli nicht nur die Festangestellten zum Streik mobilisieren konnte, sondern auch die outgesourcten Kolleg*innen am Münchner Flughafen. So wäre auch die Kandidatur der aktiven Gewerkschafterin für den Aufsichtsrat aussichtsreich gewesen, was eurotrade offenbar verhindern wollte. Mit ihren Kollegen und Kolleginnen wollte Neli auch eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit erkämpfen, da die derzeitige Zeiterfassung im Unternehmen rechtswidrig regelmäßig zu unverschuldeten Minusstunden führt. Neli klagt nicht nur gegen ihre Kündigung, sondern gemeinsam mit mehr als 50 Kolleg*innen in einem weiteren Verfahren auch gegen die fehlerhafte und vom Unternehmen beeinflusste Betriebsratswahl. Sie stellt für eurotrade ein Problem dar. Denn der Handel steht vor wegweisenden Veränderungen. Nicht nur soll das Ladenschlussgesetz massiv verändert werden, sondern der Einzug von Selbstzahlerkassen und anderen neuen Technologien im Verkauf setzt ihre Kollegen und Kollegen unter enormen Druck. Da stört eine gut organisierte Belegschaft, die womöglich Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich fordern könnte.

Etwas weiter südlich steht Maria Laube aus Rosenheim vor einer ähnlichen Situation. Seit zwei Jahren ist sie Betriebsratsvorsitzende beim dortigen Media Markt, sitzt im Aufsichtsrat und setzt sich vehement für ihre Kolleg*innen ein, besonders gegenüber den abfälligen Äußerungen des Filialleiters, Ludwig Obermaier. Auch sie schafft es, die Streikbereitschaft in der letzten Tarifrunde um das 6-fache zu erhöhen. Als Maria einer Kundin die Bon-Kopie eines von der Kundin gekauftem Gerät ausstellt, packte die Geschäftsführung die Gelegenheit beim Zopf und sprach die fristlose Kündigung aus. Sie habe unternehmensschädigend agiert, als sie dieser Kundin dabei half, ihren Garantieanspruch auf ein Haushaltsgerät wahrzunehmen. Nun ist Maria bis auf Weiteres freigestellt. Da aber der Betriebsrat der Kündigung noch nicht zugestimmt hat, bleibt ihr vorerst nur die Arbeit als Betriebsrätin und das Warten auf das Urteil des Rosenheimer Arbeitsgerichtes. Dem nicht genug: Media Markt ließ den Gütetermin vor Gericht platzen, um sich auf diese Weise so schnell wie möglich die Zustimmung zur Kündigung durch das Gericht einzuholen.

 

Bleiben wir in der Region. Es geht um zwei Kollegen eines renommierten Pharmaunternehmens im nördlichen Landkreis Rosenheim. Beide sind als IGBCE-Mitglieder in der örtlichen Tarifkommission aktiv. Zudem sind beide Mitglied des Betriebsrats und auch gewerkschaftliche Vertrauensleute. Als die Geschäftsleitung in den Verhandlungen zur Verbesserung des Haustarifvertrags die unteren Lohngruppen benachteiligen will, lehnt die gesamte Tarifkommission den Vorschlag ab. Kurz darauf werden alle Mitglieder der Tarifkommission vom extern beauftragten Personalmanager kontaktiert und zur letzten Sitzung der Tarifkommission hinsichtlich Teilnehmer und Dauer befragt. Nachdem hier keine Antwort erfolgt, werden die beiden Kollegen sowie weitere Mitglieder der Tarifkommission zum Personalgespräch geladen. Hier wird allen Beteiligten eine schriftliche Anhörung wegen Verdachts auf Arbeitszeitbetrug überreicht und bis auf Weiteres die sofortige Freistellung von der Arbeit  mitgeteilt. Damit nicht genug. Es wird nach weiteren “Fehltritten” der Kollegen gesucht. Die Suche endet mit einer weiteren schriftlichen Anhörung zu Sitzungen der Tarifkommission aus den Jahren 2022 und 2023 mit demselben Vorwurf – Arbeitszeitbetrug! Die Freistellung wird verlängert. Im Anschluss erfolgt eine Anhörung an den Betriebsrat mit der Bitte um Zustimmung zur fristlosen Kündigung der beiden Kollegen, eine sogenannte Tat- und Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrug. Der Betriebsrat stimmt zu, weshalb beide Kollegen nun eine Kündigungsschutzklage gegen das Unternehmen eingereicht haben.

Diese drei Fälle stehen exemplarisch für eine steigende Anzahl von betrieblichen Auseinandersetzungen, die besonders gewerkschaftlich organisierte Kolleg*innen trifft. Natürlich kann man alle individuell betrachten und Gründe finden, warum es genau diese Kolleg*innen getroffen hat: „Sie hätten ja nichts sagen brauchen.“, „Wären sie halt vorsichtiger gewesen.“, „Man muss ja nicht immer die Konfrontation suchen“. Doch bieten solche verkürzten Erklärungsansätze vor den derzeitigen politischen und ökonomischen Entwicklungen keine Perspektive. Denn es sind eben nicht nur alles Einzelfälle.

Die deutsche Wirtschaft, das deutsche Kapital, befindet sich in einer lange nicht mehr dagewesenen Situation. Es ist ordentlich ins Hintertreffen geraten. Längst ist aus dem „Exportweltmeister“ der „kranke Mann Europas“ geworden. Christian Lindner ordnete das auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar so ein: „Deutschland ist ein müder Mann nach einer kurzen Nacht. Und jetzt haben wir eine gute Tasse Kaffee, das heißt, Strukturreformen, und dann werden wir wirtschaftlich weiter erfolgreich sein.“ Was versteht der FDP-Chef unter diesen Strukturreformen? Auf der Webseite der FDP findet man dazu folgendes: Unternehmenssteuerreform, d.h. von derzeit 30 % auf weniger als 25 %. Dann natürlich weitere Angriffe auf das Arbeitslosengeld, weitere „Entschlackung“ des Lieferkettengesetzes und „Anreize“ für längeres Arbeiten. Ganz zum Schluss heißt es dort: Deutschland brauche eine „Verbesserung der Standortbedingungen und Entfesselung des privaten Kapitals“. Zusammengefasst: mehr Macht und Mittel für Konzerne, weniger Mitbestimmung in den Betrieben, Angriffe auf das Streikrecht, auf die Arbeitslosenversicherung, das Bürgergeld und auf die Renten, mehr Privatisierungen und weniger Regulierungen des Wettbewerbs. Wie immer wird mit den vermeintlich rettenden Maßnahmen bei den sowieso schon Benachteiligten angefangen. Aber schon die angedeuteten Massenentlassungen bei VW – eine Institution der regulierten Sozialpartnerschaft zwischen Geschäftsführung und IG Metall – und anderen Unternehmen zeigen, dass das dem deutschen Kapital nicht ausreicht. Regierung und Unternehmer schicken sich an, die größten Angriffe seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland auf die gesamte Arbeiter:innenschaft zu organisieren. Egal wie die Bundestagswahlen ausgehen, ein massiver Sozialabbau und eine massive Aufrüstung werden folgen!

Nun ist die FDP natürlich nicht allein verantwortlich für das Zukunftsprogramm der kommenden und der bisherigen Regierung. Aber wohin der Weg führen soll und dass dieser Weg schon länger vorbereitet wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Die einzige Kraft, die derlei Veränderungen zugunsten des deutschen Kapitals aufhalten könnte, wären die organisierten Arbeitenden, also beispielsweise die gewerkschaftlich organisierten Kolleginnen und Kollegen. Dementsprechend gibt es heute hunderte Rechtsanwaltskanzleien und HR-Dienstleister, die es bewusst auf aktive Kolleg*innen in den Betrieben abgesehen haben. Denn sind die aktiven und kämpferischsten Menschen erstmal kaltgestellt, wird der Rest der Masse sich nicht mehr viel wehren. Dazu passt auch die neue politische Linie der Bundestagsparteien, von blutrot bis olivgrün: Aufrüstung, Ausbau der „inneren Sicherheit“, ein Programm für die nationale Verteidigung und die Sicherung von Ressourcen. Deutschland bereitet sich damit vor, im Rahmen der EU, auch zur militärischen Führungsmacht zu werden, um im Spiel um die Neuaufteilung der Welt im Kampf um Ressourcen, Absatzmärkten und Billiglohnländer zwischen den Blöcken (USA, Russland/China) ein Wörtchen mitreden zu können. Auch hier könnten die Gewerkschaften mit Streiks den ökonomischen Expansionsplänen von NATO, Russland, Israel und China einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen. Mit Streiks gegen Waffenexporte, gegen den Sozialabbau und für soziale Maßnahmen, ökologische Transformation und Lebensmittelsicherheit. Diese Kraft wird von den Gewerkschaften aber nicht eingesetzt, lieber ordnen sie sich den Kapitalinteressen unter und helfen damit der Durchsetzung deren  Profitinteressen gegen unsere Interessen. Brot, Frieden, Arbeit. Und genau in diesen Regionen, in den USA, in China, in Russland und in Israe, finden sich die apokalyptischen Vorreiter dieser märchenhaften Bedingungen, die Lindner auch für das deutsche Kapital fordert. Regionen, wo die Gewerkschaften, also die organisierte ökonomische Macht der arbeitenden Klassen, entweder kaum existieren oder in totaler Willfährigkeit den nationalistischen und militaristischen Kurs der Kapitalseite mittragen.

Vor diesem Hintergrund betrachtet, bekommt die ansteigende Anzahl an repressiven Maßnahmen gegenüber aktiven Gewerkschaftskolleg*innen gleich einen ganz anderen Geschmack. Dagegen heißt es, sich zu organisieren. Die VKG München organisiert daher am 15. Januar eine gemeinsame Veranstaltung zu Union Busting und Berufsverboten, um eine gewerkschaftliche Perspektive für den Kampf an Universitäten und Betrieben aufzubauen.

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