Die Folgen der kapitalistischen Krise für die abhängig Beschäftigten, vor allem die bittere Aussicht auf hunderttausende Jobverluste, werden spürbarer. Besonders in der exportorientierten Metall- und Elektroindustrie nehmen die Sorgen der Kolleg*innen zu.
Von Angelika Teweleit, Berlin
In den letzten Wochen wurden bereits Betriebsvereinbarungen bei Daimler, und Zuliefererkonzernen wie ZF oder Bosch über Arbeitszeitreduzierungen mit entsprechendem Lohnverlust verhandelt. Bei ZF zum Beispiel wurde – mit der Zusage einer Beschäftigungssicherung bis Ende 2022 – zunächst eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes vereinbart, dafür aber verzichten die Beschäftigten nicht nur auf eine Sonderzahlung in diesem Jahr. Die Zugeständnisse der Beschäftigten – eine weit gehende Flexibilisierung, und die Möglichkeit einer Arbeitszeitverkürzung bei gleichzeitigem Lohnverlust um zwanzig Prozent nach Auslaufen der Kurzarbeit – dürften für die Konzernführung wichtige Erfolge darstellen.
Arbeitszeitverkürzung: Thema für die Tarifrunde?
Nun erklärte der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann gegenüber dem Handelsblatt: „Die Vier-Tage-Woche wäre die Antwort auf den Strukturwandel in Branchen wie der Autoindustrie.“ und macht diese für die auf nächstes Jahr verschobene Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie zum Thema. Jahrelang wurde die Forderung nach einer 30-Stunden-Woche von Arbeitgeberseite als völlig überzogen dargestellt. 2018 hatte die IG Metall das Fass Arbeitszeitverkürzung aufgemacht – allerdings nicht für alle und ohne vollen Lohn- und Personalausgleich. Von den Gewerkschaftsführungen wurde die Forderung nach einer 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich immer als utopisch oder gar als „nicht mobilisierend“ bezeichnet.
Wenn jetzt eine Vier-Tage-Woche gefordert wird, ist das einerseits zu begrüßen. Allerdings muss man den sehr großen Pferdefuß erkennen: auch diesmal wird kein voller Lohnausgleich gefordert. Stattdessen soll es laut Hofmann nur einen „gewissen Lohnausgleich“ geben, „so dass die Mitarbeiter sich das leisten können“, was aber sehr dehnbar ist: statt 17 Prozent weniger Lohn dann 16 oder „nur“ fünf Prozent weniger Lohn? Wie sollen dann Miete, Hausrat, Kosten für Kinder oder Pflege der Eltern eigentlich noch gezahlt werden? Auf diese Logik darf man sich nicht einlassen.
Die Erde ist keine Scheibe!
Beim Autozulieferer Conti machen die Kolleg*innen erneut die Erfahrung, dass trotz Verzicht mit neuen Stellenabbauplänen Druck gemacht wird. Aber auch das ist nicht neu, so haben sie schon bei früheren Arbeitskämpfen auf Protestschildern geschrieben:„Lohnverzicht schafft Arbeitsplätze – und die Erde ist eine Scheibe“ (taz 7.12.2005). Die Logik, wenn alle jetzt den Gürtel enger schnallen, wird es bald wieder besser, geht nur für die Bosse auf, die damit ihre Schäfchen ins Trockene bringen wollen. Jegliche Zusagen für Beschäftigungsgarantien sind zeitlich begrenzt, und außerdem besteht jederzeit die Möglichkeit, dass alles für null und nichtig erklärt wird. Auch bei Karstadt hat Lohnverzicht über viele Jahre nicht verhindert, dass ein Drittel der Filialen geschlossen werden.
Vor uns steht eine Pleitewelle kleiner und mittelständischer Unternehmen und massenhafter Jobabbau bei Konzernen. Viele Ökonomen, auch in der Autobranche, rechnen nicht mit einer Erholung vor 2025. Dazu kommt natürlich, dass es wegen des Klimawandels nicht im Interesse der Mehrheit der Menschen auf diesem Planeten sein kann, wenn im Jahr 2025 dann wieder hundert Millionen Pkw anstatt wie in diesem Jahr 65 Millionen produziert und zugelassen werden. Genauso wenig ist es im Interesse der gesamten Arbeiter*innenklasse, wenn hunderttausende Beschäftigte in die Erwerbslosigkeit entlassen werden. Daher muss dringend diskutiert werden, was der Ausweg sein kann.
Für die 30 Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!
Die Gewerkschaften müssen aufhören, mit ihrem Co-Management Zugeständnisse zu machen, die letztlich bedeuten, dass Kolleg*innen für diese kapitalistische Krise zur Kasse gebeten werden und trotzdem massenhaft Arbeitsplätze verloren gehen. Die Konzerne haben über Jahre Rekordgewinne eingefahren, Großaktionäre haben riesige Dividenden eingefahren.
Es geht jetzt um viele hunderttausende Existenzen von Beschäftigten mitsamt Familien. Statt Verzicht zu vereinbaren, müssen Kämpfe organisiert werden. Diese Kämpfe werden hart. Aber anstatt Kolleg*innen in den nächsten Tarifrunden zum Streik für den eigenen Lohnverzicht zu mobilisieren, sollte die Forderung selbstbewusst lauten: Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 30 Stunden, aber bei vollem Lohnausgleich.
Es ist auch zu erwarten, dass die Konzernchefs eine weitere Arbeitsverdichtung anstreben, um die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt zu erhöhen. Das bedeutet, dass mit dem Vorwand der Beschäftigungssicherung dann in kürzerer Arbeitszeit bei geringerem Lohn diejenigen Beschäftigten, die übrig bleiben, eben noch effektiver ausgebeutet werden sollen – also weniger Beschäftigte in kürzerer Zeit schneller produzieren sollen, um die Profite zu sichern. Deshalb muss die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung auch mit vollem Personalausgleich verbunden werden, kontrolliert durch gewählte Vertreter*innen der Belegschaften und Gewerkschaften.
Wo Unternehmer sagen, das sei nicht möglich, muss erstens die Offenlegung der Geschäftsbücher gefordert werden, und außerdem die Perspektive einer Überführung der Betriebe und Konzerne in Gemeineigentum auf die Tagesordnung gebracht werden, unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung, sowie einer ökologisch sinnvollen Konversion der Produktion. Die Politik von Co-Management und Sozialpartnerschaft muss beendet werden. Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG – www.vernetzung.org), bietet einen Ansatzpunkt, um für die kommenden harten Auseinandersetzungen Perspektiven und Strategien zu diskutieren.