Arbeitskampf bei Amazon: Punktsieg in Rabattschlacht

Nach dem »Black Friday« ist vor dem »Cyber Monday«: Amazon-Beschäftigte streiken weiter für einen Tarifvertrag. Konzernsprecher behauptet geringe Beteiligung

Aus Junge Welt: Ausgabe vom 01.12.2020, Seite 5 / Inland

Von Oliver Rast

Sie bleiben dran. Nach dreitägigen Streiks in der vergangenen Woche sind Beschäftigte beim Onlineriesen Amazon erneut in den Ausstand getreten. Mit Beginn der Nachtschicht zu Montag haben Kollegen in den Versandzentren in Leipzig, Bad Hersfeld, Werne und Rheinberg Päckchen und Pakete im Depot zurückgelassen, unbearbeitet, versteht sich. »Damit intensiviert Verdi den Arbeitskampf im Weihnachtsgeschäft«, erklärte die Gewerkschaft am Montag in einer Mitteilung. Der Streik ist zeitlich begrenzt, endet mit der Spätschicht am Dienstag.

Es geht um einen Tarifvertrag – konkret: um die Anerkennung der Flächentarifverträge des Einzel- und Versandhandels durch den Konzern. Die Führungsspitze behauptet per Wiederholungsschleife, die Tätigkeiten im Versand seien nicht dem Handel, sondern der Logistik zuzurechnen. Deshalb orientiere man sich auch an Entgelten, die in diesem Sektor üblich seien. Im Amazon-Singsang klingt das so: »Das Lohnpaket samt der Zusatzleistungen und unsere Arbeitsbedingungen bestehen auch im Vergleich mit anderen wichtigen Arbeitgebern in der Region«, meinte ein Konzernsprecher am Montag auf jW-Nachfrage. Zum Hintergrund: In der Logistik sind nach Konzernangaben hierzulande rund 16.000 Menschen fest angestellt, zusätzlich helfen 10.000 Saisonkräfte aus. Aktuell betreibt Amazon 15 Logistikzentren, die Kundenbestellungen bearbeiten.

Wie schon in der vorigen Woche zum »Black Friday« ist der Zeitpunkt der Streikaktion bewusst gewählt: »Cyber Monday« nennt sich die weitere Episode in der Rabattschlacht mit unzähligen Lockangeboten für Konsumfreudige. Für die Beschäftigten bedeutet dies vor allem eines: »Extrastress«, betonte Silke Zimmer, im Verdi-Landesbezirk NRW Fachbereichsleiterin für den Handel, am Montag in der Mitteilung. Denn klar ist: »Die Schnäppchenjagd wird mit schlechten Arbeitsbedingungen und unfairer, weil nicht tariflicher Entlohnung erkauft«, sekundierte die Streikleiterin in Bad Hersfeld, Mechthild Middeke, gleichentags.

Kaum überraschend: Der Internetgigant redet die Arbeitsniederlegungen in seinen Warenumschlagpunkten klein. O-Ton: »Wir haben eine sehr geringe Streikbeteiligung gesehen«, verlautbarte der Sprecher aus der Koblenzer Zentrale. Und auch am Montag sei die Beteiligung »wirklich gering«. Am wichtigsten ist ihm folgendes: »Die Pakete kommen pünktlich an.«
Eine steile These, findet hingegen Thomas Schneider, Leipziger Verdi-Streikleiter: »Wir wissen, wir haben den Nerv getroffen.« Im Wareneingang arbeitete fast niemand, auch im Warenausgang stocke es, so der Gewerkschafter. Hunderte Kollegen hätten sich drei Tage lang durchgehend aktiv gezeigt. Nicht nur das: »Es haben sich einzelne Beschäftigte erstmals an einer Arbeitskampfmaßnahme beteiligt.« Das seien allesamt sehr positive Signale der Aktionsfähigkeit, so Schneider weiter. Nicht zuletzt deswegen gehe der Streik gewissermaßen in die Verlängerung.

Ähnlich äußerte sich Tim Schmidt, Verdi-Streikleiter in Rheinberg bei Duisburg, am Montag im jW-Gespräch: »Wir machen hier kein großes Brimborium, unsere Organisation ist stark.« Coronabedingt seien ohnehin keine großen Kundgebungen vor den Zufahrtsstraßen der Versandzentren vorgesehen. »In der Hauptsache haben wir unsere Kollegen beim Wiederbeginn des Ausstands zwecks Streikgeld erfasst«, so Schmidt. Nur: Wie ist die Situation am Arbeitsplatz? »Das Auftragsvolumen wird weiter runtergefahren, Arbeitswillige werden intern hin und her geschoben«, weiß Schmidt. Zusammengefasst: Streiken wirkt. Gewerkschaftskollege Schneider macht keinen Hehl daraus: »Die Streiktage haben uns extra motiviert.« Falls erforderlich, würden sie erneut die Arbeit niederlegen – denn das Ziel bleibt: der Tarifvertrag.

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