Einige Kernpunkte der Diskussion in der AG „Mehr Demokratie in Arbeitskämpfen und Gewerkschaften“
Anwesend waren zwischen 35 und 40 Kolleginnen und Kollegen Zunächst wurde in Erinnerung gerufen: Ob bei Tarifkämpfen im Sozial- und Erziehungsdienst, ob bei der Post, in der Metallindustrie oder in anderen Branchen: Fast überall machen Kolleginnen die Erfahrung, dass die Kampfführung etwa bei den Tarifrunden nicht in ihren Händen liegt. Das fängt schon bei der Aufstellung der Forderung an und geht über die Bestimmung der Streiktaktik bis zur Frage, wer eigentlich tatsächlich über die Annahme eines Verhandlungsergebnisses entscheidet.
Auch die diesjährige Tarifrunde Metall zeigt mal wieder, dass der Kurs von oben in einer Weise vorgegeben wird, dass die Kolleginnen nur wenig Einwirkungsmöglichkeiten auf den Verlauf der Tarifrunde haben. Hier soll nämlich noch vor Ende der Friedenspflicht (28. April) ein Moratorium mit den sogenannten Arbeitgebern abgeschlossen werden, und zwar auf einer nur vom IGM-Vorstand beschlossenen Linie, die zu keinem Zeitpunkt in der Mitgliedschaft diskutiert werden konnte.
Auch bei der innergewerkschaftlichen Meinungsbildung gibt es deutliche Demokratiedefizite. So wurde dem langjährigen H&M-Betriebsrat Cosimo-Damiano Quinto, der seit einiger Zeit hauptamtlich für die Gewerkschaft ver.di arbeitet vorgeworfen, von seiner privaten Facebook-Seite aus im Frühjahr 2019 auf einen Artikel im „express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit verlinkt zu haben. Er wurde abgemahnt, was nur aufgrund breiter Proteste zurückgenommen werden musste.
Sodann berichteten zwei Kolleg*innen über ihre Erfahrungen mit einer demokratischen Kampfführung in einer Tarifauseinandersetzung:
Julian Koll, ist ver.di-Vertrauensmann bei der Stadt Dortmund und war Delegierter auf der inzwischen berühmt gewordenen Bundesstreikdelegiertenkonferenzen des Sozial- und Erziehungsdienstes 2015, als gegen den Willen des ver.di-Vorstands der Schlichterspruch abgelehnt wurde und Neuverhandlungen erzwungen wurden. Er erläuterte, wie vor dem einmonatigen Streik im Sozial- und Erziehungsdienst bei den Vertrauensleuteversammlungen die Tarifforderung diskutiert wurde und in verschiedenen Städten für die bundesweiten Streikdelegiertenversammlungen mobilisiert wurde. Dort wurde dann das Schlichtungsergebnis abgelehnt und eine Mitgliederbefragung eingefordert. Hier sollte nicht die undemokratische 25%-/75%-Klausel einer Urabstimmung gelten, sondern eine Mehrheit entscheiden, wie es weitergeht. Bundesweit stimmten fast 70% der Mitglieder gegen das von der ver.di-Führung beworbene Schlichtungsergebnis und für die Fortsetzung eines unbefristeten Streiks. Letztlich kam es dazu nie, stattdessen wurde später nur nachverhandelt.
Das Ergebnis war dann immer noch schwach und bestand im Wesentlich darin, dass die unteren Gehaltsgruppen etwas stärker angehoben wurden als in der Schlichtung (zum Teil wurde dies sogar mit geringeren Anstiegen in den oberen Gruppen kompensiert). Die Bewegung von unten war noch nicht stark genug, auch dies wirksam zurückzuweisen.
Danach berichtete Alexandra Willer, Personalratsvorsitzende am Uniklinikum Essen. Sie war stark an der Organisierung des 2018 (zweimal über mehrere Wochen) geführten Streiks beteiligt. Dieser Kampf konnte nur deshalb so lange durchgehalten werden und einen Erfolg erzielen (zur Entlastung der Kolleg*innen wurden Neueinstellungen vereinbart), weil die Kolleginnen in jedem Stadium des Kampfes über den weiteren Gang der Dinge entscheiden konnten.
In der anschließenden Diskussion schälten sich folgende Punkte als wichtige Lehren heraus:
• Streikvollversammlungen reichen nicht aus. Die Streikleitung muss vor Ort gewählt und regelmäßig wiedergewählt (bestätigt oder geändert) werden.
• Auf der überörtlichen Ebene sind Streikdelegiertenversammlungen ein ganz wichtiges Mittel, um zu verhindern, dass über die Köpfe der Mitgliedschaft hinweg, ein Tarifabschluss zustande kommt, mit dem die Kolleginnen nicht zufrieden sein können.
• Funktionärinnen der Gewerkschaft müssen gewählt und abgewählt werden können. Anzustreben ist auch, dass die hohen Gehälter (die es mindestens auf Vorstandsebene gibt) auf die Höhe des Durchschnittsverdiensts abgesenkt werden.
• Für Urabstimmungen sollte die Absenkung des undemokratischen 75-Prozent-Quorums angestrebt werden, damit nicht 25 Prozent für die Annahme eines (schlechten) Abschlusses reichen.