Gewerkschaftsvorstände und Kapital machen gemeinsame Sache

Die Beschäftigte zahlen für die Regierungspolitik und den Krisenkapitalismus dank tätiger Kumpanei der Gewerkschaftsapparate als Retter am Krankenbett des Kapitalismus. Gewerkschaftsvorstände segnen den Lohnraub und Reallohnverluste ab! Zur Rolle der Konzertierten Aktion.

Das Jahr 2022 startete relativ erfolgversprechend mit dem Hafenarbeiterstreik und einem nominal über der Inflationsrate liegendem Abschluss, obwohl die Tarifvertragsdauer angesichts anhaltend hoher Inflationsrate mit zwei Jahren bereits überlang war. Alle dann bis heute folgenden Tarifrunden schlossen noch schlechter ab, obwohl die Mitglieder alle kämpferischer als während der letzten Jahre waren. Viele aktive Gewerkschafter*innen begrüßen das. Es wird von einem neuen Aufschwung der Gewerkschaftsbewegung geredet: mehr Aktivismus, neue, vor allem junge Kolleg*innen wurden und werden aktiv. In einzelnen Bereichen gab es massive Neueintritte, ganz gegen den jahrelangen Trend des Niedergangs. Die schlechten Abschlüsse und das Vorgehen der Gewerkschaftsspitzen haben schon für viel Unmut gesorgt und drohen den möglichen Aufschwung zunichte zu machen. Deshalb ist es wichtig zu diskutieren und zu verstehen, wie und warum dies zustande kam.

Üblicherweise kann nach einer Tarifrunde immer gestritten werden, ob ein Mehr an Aktionen und Streiks, ein besseres Ergebnis ermöglicht hätte. In diesem Klein-Klein verschwimmt die Frage, ob es hinter der ganzen Rhetorik der reformistischen Gewerkschaftsführungen einen Plan oder eine Absicht gibt. Das ist für die letzten Tarifrunden anders.

In den letzten Tarifrunden spielte die im Juni 2022 von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) initiierte Konzertierte Aktion und den Vereinbarungen zur sogenannten „Inflationsausgleichsprämie“ (Oktober 22) eine besondere Rolle, die wir hier beleuchten wollen.

Alle folgenden Abschlüsse, die nach dem Treffen der „konzertierten Aktion gegen den Preisdruck“ im Oktober vereinbart wurden – sei es in der Chemie- oder Metall- und Elektroindustrie, bei der Post, im Öffentlichen Dienst u.a.– griffen die sogenannte Inflationsausgleichsprämie auf, vereinbarten tabellenwirksame Erhöhungen weit unter der Inflationsrate, hatten viele Nullmonate (bis zu 15 Nullmonate) bis zur ersten Tabellenerhöhung, sowie lange Laufzeiten von zwei Jahren und mehr. Die Beschlüsse der Konzertierten Aktion dienten dazu, die Reallöhne nach unten zu drücken und nachhaltige Tabellenerhöhungen zu verhindern.

Das Jahr 2022 steht für den höchsten Reallohnverlust von Tarifbeschäftigten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, lautet denn auch eine Auswertung vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI).

In der Konzertierten Aktion kommen Vertreter*innen des Kapitals, der Regierung und die Gewerkschaftsspitzen zusammen. Es gibt keine Abstimmungen, sondern es wird ein Gesamtpaket ausgehandelt, das von allen mitgetragen werden soll. Teil dieses Pakets war die Inflationsausgleichprämie.

Die Gewerkschaftsspitzen haben also einer Maßnahme zugestimmt[i], von der allen klar gewesen sein muss, dass sie die aufgestellten Tarifforderungen torpedieren musste: Netto statt Brutto, Prämie statt Tabellenerhöhung, unkalkulierbare Auswirkungen auf die Sozialversicherung und zwangsläufig längere Laufzeiten.

Natürlich haben die Gewerkschaftsführungen diesen Vorschlag zu keinem Zeitpunkt ernsthaft innerhalb der Organisationen diskutiert. Es gibt kein einziges schriftliches Dokument, das die Auswirkungen, die Vor- und Nachteile untersucht. Stattdessen wurde es der Gegenseite überlassen, die Inflationsprämie in die Verhandlungen einzubringen, dann wurde sie erstmal mit großen Worten zurückgewiesen, um dann plötzlich mit akzeptiert zu werden, wobei dann oft noch der Basis die Schuld gegeben wurde, sie habe das gewollt. Natürlich diente auch die Inflationsprämie dazu, die Abschlüsse gewerkschaftsintern schönzurechnen.

Die genaue Betrachtung der Tarifrunde zeigt also, dass die Sozialpartnerschaft und ihre Mechanismen nicht eine Kooperation zwischen Kapital und Arbeit sind, die beiden Seiten nutzt – wie ihre Verfechter*innen behaupten, sondern die Unterordnung der Arbeitenden unter die Interessen des Kapitals und seines Staates. In diesem Fall bedeuten sie massiven Reallohnverlust.

Dies ist die Chance für die Gewerkschaftslinke, die Sozialpartnerschaft, die die Unterordnung unter die Krise des Kapitals bedeutet, anzugreifen. Die überwältigende Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen vermeidet politische Fragen und scheut davor zurück, sich mit dieser Gesellschaftsordnung zu befassen. Für die vielen Aktiven an der Basis, die im Tarifkampf aktiv waren, sollte dies der Anlass werden, dies zu tun. Nur wenn es Klarheit gibt über die Politik der Führung, kann diese auch bekämpft werden.

Zur Rolle der Gewerkschaftsvorstände

Im kriselnden bundesdeutschen Kapitalismus nehmen die Gewerkschaftsvorstände eine zwiespältige Rolle ein. Einerseits vertreten sie im Wesentlichen das Interesse ihrer Mitglieder an steigenden Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen, andererseits vertreten sie im Rahmen der Sozialpartnerschaft und Teil des Überbaus Interessen des Staates und des Kapitals zur Sicherung der Profitrate im staatsmonopolistischem Spätkapitalismus. Der Staat ist jedoch kein neutral handelnder Akteur, sondern Instrument der herrschenden Klasse.

Aufgrund sinkender Mitgliederzahlen und Organisationsmacht nimmt gewerkschaftliche Kraft in Arbeitskämpfen stetig ab. Deutsche Gewerkschaftsführungen haben ihren Frieden mit dem Kapitalismus gemacht und können ihm ideologisch nichts entgegensetzen und ihren Mitgliedern neben Vertretungsmacht in Arbeitskämpfen außer Vorteilen der Mitgliedschaft (Rechtsschutz, Lohnsteuerhilfe) kein darüber hinausgehendes Bewußtsein vermitteln. Diese Schwäche ist auch Resultat eines hier fehlenden Streikrechts (in Frankreich ist das Streikrecht allgemein und individuell) und drohender Schadensersatzzahlungen bei so genannten wilden Streiks. Beides wurde jüngst durch gerichtlich angedrohten Bundesbahn-Streikabbruch (Arbeitsgericht Frankfurt/Main) und im Kündigungsschutzprozess streikender Gorillas-Fahrer (Arbeitsgericht Berlin-Tiergarten) bestätigt. Die Gewerkschaftsvorstände sind sich ihres Monopols „Gestreikt wird nur mit und durch Gewerkschaften“ bewusst. Sie haben diese Kröten ohne Murren geschluckt und somit die Grenzen des Streikrechts akzeptiert. Damit werden aus wirtschaftlichen Verteilungskämpfen juristische Auseinandersetzungen und der Konflikt kampfkräftigen Massen der Straße geraubt und der Entscheidung staatlicher Organe – Gerichte sind staatliche Organe und damit Teil des Überbaus – überantwortet und letztlich entschärft.

Gewerkschaften sind weder organisatorisch noch ideologisch ein monolithisches Ganzes, sondern ein Konstrukt aus hauptamtlichem (dem Kapitalismus verpflichteten) Apparat und den Beitrag zahlenden Mitgliedern. Obwohl die Mitglieder deutlich zahlreicher sind als der Apparat, ist ihre Macht aufgrund satzungsgemäßer Transparenz- und Demokratiedefizite begrenzt und unterrepräsentiert. Sie können Kumpanei und Sozialpartnerschaft nicht verhindern.

Die strukturelle Schwäche deutscher Gewerkschaften im Arbeitskampf wurde durch Verfilzung (z.B. Jasmin Fahimi ist hohe SPD-Funktionärin und DGB-Vorsitzende) mit dem Überbau aus Politik teils ausgeglichen. Gleichzeitig werden die Gewerkschaften damit dem kapitalistischen System verpflichtet. Im Rahmen der jüngsten Tarifrunden wurde der Einhegeeffekt der konzertierten Aktion sichtbar, aus Tarifrunden wurden Verzichtsrunden.

Da Krieg und Krise uns noch einige Zeit begleiten werden, bleibt der Druck auf Gewerkschaften zur Hilfestellung bei der Lastenumverteilung künftig weiterhin hoch. Trotz sinkender Organisationsmacht gelingt es den Gewerkschaften möglicherweise in Großbetrieben auch künftig, Verhandlungsmacht zu entwickeln und dort ordentliche Tarifergebnisse zu verhandeln. Dafür könnte ihnen allerdings auch die Rolle des Dompteurs der unzufriedenen Beschäftigtenmassen zuwachsen. Dieser Spagat funktioniert eventuell auch dann weiterhin zuverlässig, solange es der herrschenden Meinung gelingt, irrationales Bewußtsein vorherrschen zu lassen.

 [i] Innerhalb der IGBCE rühmen sich gar Funktionär*innen, dass die Inflationsausgleichsprämie auf Vorschlag der IGM und der IGBCE zustande kam.

https://vernetzung.org/wp-content/uploads/2023/06/VKG-zur-Konzertierten-Aktion.pdf

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