Tarifrunde öffentlicher Dienst und Gesundheitswesen: Volle Mobilisierung – Schluss mit der Politik der „ausgestreckten Hand“

Ein Flugblatt der Münchner Gewerkschaftslinken

Auch nach der zweiten Verhandlungsrunde stellen sich die öffentlichen Arbeitgeber stur: Die Kassen seien leer auf-grund der Krisenpakete der Bundesregierung, die an die sogenannten „systemrelevanten“ Konzerne als Subventionen flossen, um diese nach dem Einbruch der Wirtschaft zu stützen! Allein Lufthansa erhielt davon 9 Mrd. Euro – ohne irgendwelche Bedingungen, was z.B. die Umweltverträglichkeit oder den Erhalt von Arbeitsplätzen angeht.

Schon lange vor Corona hatte sich eine schwere Wirtschaftskrise angekündigt, die durch die ergriffenen Schutzmaß-nahmen in der Coronakrise beschleunigt wurde. Die Reaktion der öffentlichen Arbeitgeber zeigt deutlich, dass auch sie uns – die Beschäftigten – für ihre Krise zahlen lassen wollen: Sie wollen eine lange Laufzeit – am besten bis 2023; keinen Mindestbetrag und nach Entlastung (Flugblatt ver.di vom 20.9.).

Zur Erinnerung, die Hauptforderung von ver.di: 

– Erhöhung um 4,8 %, mindestens aber 150 Euro monatlich,

– Erhöhung der Entgelte der Azubis, Studierenden und Praktikant*innen um 100 Euro monatlich, Laufzeit 12 Monate

– Angleichung der Arbeitszeit in Ost an die im Westen.

Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung – in einer ver.di-Umfrage hatten sich die meisten KollegInnen für mehr Freizeit ausgesprochen – wurde gar nicht mehr aufgestellt. Vor dem Hintergrund der allgemeine Belastung und drohenden Zunahme der Arbeitslosigkeit, wäre das notwendig gewesen. Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich ist die klassische Antwort auf den Erhalt der Arbeitsplätze!

Vor allem der kommunale Arbeitgeberverband (VKA) will diese Tarifrunde dazu nutzen, das Kräfteverhältnis zu seinen Gunsten zu verändern: noch vor Beginn der Tarifrunde hatte er ver.dis „ausgestreckte Hand“ (Zitat ver.di-Vorsitzender Wernecke), um einen Kompromiss zu erreichen, ausgeschlagen.

Auch aus einem anderen Grund wird diese Tarifrunde nicht einfach: bei vielen KollegInnen u.a. aus der Verwaltung ist die Angst vor Arbeitsplatzabbau aufgrund der Milliarden Euro-Geschenke an die Wirtschaft größer, als der Wille für eine angemessene Bezahlung zu streiken.

In dieser Gemengelage kam ver.di auf die Idee, schwerpunktmäßig den Gesundheitsbereich zu mobilisieren, um die „Kohlen aus dem Feuer“ zu holen. Denn dieser war während des Shutdowns am meisten in der Öffentlichkeit und die Wut ist hier – aufgrund des jahrelang herrschenden Personalmangels und der Unterversorgung mit Schutzkleidung während der Corona-Krise – am größten.

Die Krux ist, dass die Hauptforderungen dieser Tarifrunde keine Antwort auf die eigentliche Problematik – den Personalmangel – geben. Zudem wurde die Forderung nach Abschaffung der Fallpauschalen – obwohl dafür beim Pflegepersonal große Unterstützung vorhanden ist und zu mehr Mobilisierung beitragen würde – nicht aufgestellt.

Schon bei den ersten separaten Verhandlungen zum Gesundheitsbereich am 18.9. stellte sich heraus, dass die VKA bei allen Fragen, die irgendwie mit einer Entlastung und mehr Personal zu tun haben könnten, blockt. Aber bei Forde-rungen nach Zuschlägen und einer besseren Bezahlung im Gesundheitsbereich durchaus offen ist – vorausgesetzt sie müssen nichts zahlen (Flugblatt ver.di vom 18.9.20)!

Die ver.di-Verantwortlichen haben durchaus verstanden, dass die Forderung nach einem verbindlichen gesetzlichen Pflegeschlüssel sinnvoll ist und von den Beschäftigten erwartet wird. Dass sie aber nicht in die Tarifrunde mitaufge-nommen wird, wird mittlerweile damit begründet, dass dies eine politische Forderung sei, die sich direkt an die Politik richtet. Aber ver.di will statt dafür zu streiken, in einer „öffentlichkeitswirksamen Aktion“ am 30.9., dem Tag der Gesund-heitsministerInnenkonferenz, diese Forderungen in Form einer Fotopetition an Gesundheitsminister Spahn übergeben. Welchen politischen Druck damit erzeugt werden soll, bleibt das Geheimnis der ver.di-Verantwortlichen. Selbst-verständlich stimmen wir darin überein, dass Forderungen nach mehr Personal nicht auf rein gewerkschaftlicher Ebene durchgesetzt werden können, sondern politisch aufgegriffen werden müssen. Aber Streiks dafür, würde eine politische Kampagne erleichtern! Auch das ist eine Erfahrung aus der Entlastungskampagne!

Aber wann wenn nicht gerade jetzt – in dieser Tarifrunde, die jetzt zunächst in Warnstreiks übergeht und in der es immerhin um 2,3 Mio Beschäftigte geht – hat diese Forderung die Chance in der Bevölkerung breite Unterstützung zu finden? Wann wenn nicht jetzt könnten mehrere Tarifrunden – die des öffentlichen Dienstes und die im öffentlichen Nahverkehr, bei der es u.a. auch um mehr Personal geht, in der auch mit der VKA verhandelt wird –  zusammengeführt werden.

Darüber hinaus hat gerade die Corona-Pandemie vor Millionen von Menschen den Personalmangel offensichtlicher denn je vor Augen geführt. Damit könnte eine gesellschaftliche Kraft entstehen, die diese Forderung durchsetzen kann und die Schluss machen kann mit der Abwälzung der Krise auf die Schultern der lohnabhängig Beschäftigten.

In diesen Tarifrunden geht es um viel: die öffentlichen Arbeitgeber möchten genauso wie in der Privatwirtschaft, ihre Krise die Beschäftigten zahlen lassen – vor Entlassungen schrecken sie noch zurück. Entsprechend könnte und müsste die Tarifrunde auch organisiert werden. Aber die ganze Strategie von ver.di – sofern es überhaupt eine solche gibt – ist absolut lückenhaft!

Damit diese Tarifrunde nicht in einem Desaster endet – ein bisschen was für die Pflegekräfte und der Rest kriegt gerade ein wenig über den Inflationsausgleich – eine klassische Spaltungspolitik – müssen folgende Bedingungen vorhanden sein:

Zum einen braucht es politische Forderungen:

  • Wir zahlen nicht für die Krise der großen Konzerne und Vermögenden
  • Wir brauchen nicht nur mehr Geld, sondern auch mehr Personal.
  • Das Geld dafür ist da – allein in Deutschland besitzen die  reichsten 10 % 7.300 Milliarden Euro  
  • die Wiedereinführung der Vermögenssteuer
  • eine progressive Erhöhung der Unternehmenssteuer
  • kein Geld aus den öffentlichen Kassen für Unternehmer, die entlassen wollen
  • Schluss mit Privatisierung
  • Rekommunalisierung aller Gesundheitseinrichtungen unter Kontrolle der Beschäftigten, PatientInnen und BewohnerInnen.

Zu dem braucht es über die bisherigen Forderungen hinaus, folgende Forderungen:

  • Arbeitszeitverkürzung für alle – bei vollem Lohn- und Personalausgleich
  • Aufbau von mehr Personal im Gesundheitsbereich entsprechend dem Bedarf – Durchsetzung der PPR 2
  • auch in den anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes braucht es mehr Personal

Volle Mobilisierung aller KollegInnen aus dem öffentlichen Dienst von Anfang an – statt einzelne Warnstreiks in einzelnen Bereichen und Bezirken.

Es ist notwendig, dass die KollegInnen sich zum einen nicht gegeneinander ausspielen lassen – nach dem Motto, wenn die Beschäftigten im Krankenhaus ein etwas bessere Angebot erhalten, ist für sie die Tarifrunde zu Ende.

Zum anderen müssen die KollegInnen – vor allem in den Krankenhäusern – die Verantwortlichen dazu auffordern, dass ihre Forderung nach mehr Personal und zwar verbindlich in die Verhandlungen mit der VKA und dem Bund aufgenommen werden müssen und diese auch in den Krankenhäusern zusammen mit den anderen Beschäftigten im öffentlichen Dienst durch Warnstreiks und Durchsetzungsstreiks durchgesetzt werden müssen.

Dafür aber müssen sie den Kampf unter ihre Kontrolle bekommen: Dafür sind Streikkomitees in den Betrieben, auf regionaler Ebene und bundesweit nötig, in denen die streikenden KollegInnen ihre Delegierten wählen und  mit Hilfe derer über die Forderungen und über Aktionen bis hin zu Durchsetzungsstreiks diskutiert und beschlossen wird.

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V.i.S.d.P. + Kontakt:  Münchner Gewerkschaftslinke, c/o Christiaan Boissevain, Guldeinstr.35, 80335 München; c.boissevain@web.de, E.i.S.

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