Was haben Klimawandel und Tarifkampf der GdL miteinander zu tun?

Fast ein Viertel der klimaschädlichen Emission von Treibhausgasen entsteht im Verkehr, der allergrößte Teil durch den motorisierten Individualverkehr und den Gütertransport per LKW. Die dringend benötigte Verkehrswende kann nur gelingen, wenn die Menschen auf deutlich stärker ausgebaute Öffentliche Verkehrsmittel umsteigen, vor allem auf den schienengebundenen Verkehr (Bahn und Straßenbahn). Außerdem muss der Gütertransport mehr auf die Schiene verlagert werden.

Klimapolitische Funktion

Dazu aber braucht man deutlich mehr Personal im Öffentlichen Verkehr. Heute schon gibt es nach den vielen Personalabbaumaßnahmen im ÖPNV und bei der Deutschen Bahn viel zu wenig Menschen, die diesen verantwortungsvollen Job (etwa als LokführerIn) ausführen wollen: Diese Kolleg*innen sind oft tagelang nicht zu Hause, arbeiten Wechselschicht, tragen viel Verantwortung und bekommen trotzdem im Schnitt gerade mal 3120 € brutto!

Die Bahn stellt bei ihren Stellenanzeigen die Arbeit der Lokführer*innen als „Traumjob“ dar, was angesichts der Realitäten nur als Hohn zu begreifen ist. Während sich die Manager des Global Players Die Bahn auch in der Krise saftige Boni gewähren, soll den Beschäftigten eine Lohnabbaurunde zugemutet werden. Fakt ist, dass die Inflation heute (Frühjahr/Sommer 2021) schon über 2 Prozent beträgt. Da läuft das Angebot der Bahn auf eine Reallohnsenkung von 2,5 bis 3 Prozent über zwei Jahre hinaus.

Vor diesem Hintergrund begreifen wir den Kampf der Kolleg*innen der GdL nicht nur für sozial absolut gerechtfertigt, sondern auch als eine klimapolitisch wichtige Aufgabe. Wir müssen in unseren Gewerkschaften die politische Funktion dieser Tarifauseinandersetzung klarmachen und zu breiter gesellschaftlicher Solidarität aufrufen.

Gewerkschaftspolitische Funktion

Daneben – und für Bahnvorstand und Regierung sogar vorrangig – hat diese Tarifauseinandersetzung eine herausragend wichtige gewerkschaftspolitische Funktion. Hier soll mit dem speziell dafür gezimmerten Tarifeinheitsgesetz eine kämpferische Gewerkschaft in die Knie gezwungen werden. 2015 hatte man dieses Gesetz beschlossen, um einer Minderheitsgewerkschaft den Kampf für qualitativ bessere Ziele als die einer anderen (konfliktscheuen) Gewerkschaft unmöglich zu machen. Nicht nur widerspricht dies dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit, es ist in seiner ganzen Konstruktion darauf angelegt, überhaupt Tarifkämpfe für die Kapitaleigner überschaubar und kontrollierbar zu machen.

Von daher sehen wir den Kampf der GdL als einen ganz elementar notwendigen Beitrag zur Verteidigung gewerkschaftlicher Rechte. Wir sind der Meinung, dass es in dieser Frage für alle Gewerkschaften eine vordringliche Aufgabe sein muss, die Freiheit jeder Gewerkschaft zum Abschluss von Tarifverträgen zu verteidigen.

Wir zitieren Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes:

Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

Und bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) heißt es im Übereinkommen 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts (1948):

Artikel 2

Die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber ohne jeden Unterschied haben das Recht, ohne vorherige Genehmigung Organisationen nach eigener Wahl zu bilden und solchen Organisationen beizutreten, wobei lediglich die Bedingung gilt, daß sie deren Satzungen einhalten.

Artikel 3

  1. Die Organisationen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber haben das Recht, sich Satzungen und Geschäftsordnungen zu geben, ihre Vertreter frei zu wählen, ihre Geschäftsführung und Tätigkeit zu regeln und ihr Programm aufzustellen.
  2. Die Behörden haben sich jedes Eingriffes zu enthalten, der geeignet wäre, dieses Recht zu beschränken oder dessen rechtmäßige Ausübung zu behindern.

Artikel 4

Die Organisationen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber dürfen im Verwaltungswege weder aufgelöst noch zeitweilig eingestellt werden.

 

Da die jetzt gefahrene Linie ‒ nämlich dieses undemokratische Tarifeinheitsgesetz zum ersten Mal anzuwenden ‒ eine gefährliche Entwicklung zur Beschneidung gewerkschaftlicher Rechte einleitet, fordern wir alle Kolleg*innen in den anderen Gewerkschaften und speziell die Vorstände der DGB-Gewerkschaften auf, der elementaren Pflicht gewerkschaftlicher Solidarität nachzukommen und die Kolleg*innen der GdL in ihrem Kampf zu unterstützen. Dies sollte schon aus Gründen der eigenen Existenzsicherung begriffen werden, ist aber schon aus kollegialer Verpflichtung wie auch aus Gründen der klimapolitischen Herausforderung oberstes Gebot in den kommenden Tagen und Wochen.

Gerichtliche Entscheidungen fallen immer vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse. Nichts ist also in Stein gemeißelt. Wir erinnern deswegen:

  • Mit Urteil vom 24.4.2007 wurden Streiks für einen Sozialtarifvertrag als zulässig erklärt (1AZR 252/06).
  • Am 22.9.2009 gab es das Urteil zu Flash-Mobs, die in Tarifauseinandersetzungen künftig erlaubt sind.
  • Unter dem Eindruck vermehrter Solidaritätsstreiks wurden diese mit Urteil vom 19.6.2017 als zulässig erklärt.

 

Wenn wir es allerdings in der gegenwärtigen Situation an elementarer gewerkschaftlicher Solidarität mangeln lassen, dann schaufeln wir als Gewerkschaften unser eigenes Grab. Dieses Gesetz soll nämlich vor allem Kämpfe für bessere tarifliche Bedingungen verhindern. Werden wir also aktiv, stehen wir an der Seite der Kolleg*innen, die in der aktuellen Tarifauseinandersetzung bei der Bahn für ihre mehr als berechtigten Forderungen kämpfen!

Jakob Schäfer

Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG)

www.vernetzung.org

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